Die besten Krimis für den Sommer 2022:

Jérôme Leroy und Max Annas, Terminus Leipzig
Ü: Cornelia Wend
Edition Nautilus, 128 S.

Platz 2

Zwei Krimimeister haben sich zum Duo zusammen­­getan. Das Ergebnis: ein wü­tender, widerborstiger Roman, der sich nicht anbiedert.

Manche Ideen sind irgendwie logisch. Das Lyoner Festival »Quais du Polar« hatte die Idee, einen »vierhändigen« Roman schreiben zu lassen, eine Art literarischer Cadavre-exquis, wie diese Methode bei den Surrealisten genannt wurde. Einer fängt an, der andere macht weiter. Die beiden Spieler, Jérôme Leroy und Max Annas, sind hinreichend unterschiedliche Autoren, um kreative Spannung und Reibung aufkommen zu lassen, sie stammen eben auch, wie Leroy in einem Interview sagte, »aus derselben Familie« des Néo-Polar, also dem französischen Kriminalroman mit starkem politischen Akzent. Die Bücher beider Autoren kreisen letztendlich immer wieder um die populistische Rechte, um die neuen und alten Nazis, um Rassismus und Xenophobie, um die historischen Schmutzecken der Geschichte beider Länder, ohne für die Verfehlungen und Versäumnisse der Linken blind zu sein.

Die Story des schmalen Romans ist kompakt: Catherine Steiner, Commissaire bei der französischen DGSI, ausgebrannt, gefährlich alleingängerisch und drogenabhängig, stößt bei der Ermittlung einer Kette von Attentaten von rechtsradikalen Kräften gegen ehemalige linke »Kämpfer«, die sich längst »zur Ruhe gesetzt haben«, auf die Identität ihres Vaters. Auch er, ein Überlebender des »bewaffneten Kampfes«, hat sich mit seiner Lebensgefährtin in den Windschatten des Lebens zurückgezogen und kommentiert höchstens noch auf Twitter aus seinem unauffälligen Häuschen in einer zur Räumung anstehenden Gartenkolonie bei Leipzig das Weltgeschehen mit galligen Posts. Als sich ihre Mutter umbringt, kann Steiner kombinieren, dass eben dieser Wolfgang Sonne ihr Vater ist. Ein Vater, der sich nicht um seine Frau und nicht um seine Tochter gekümmert hatte, weil die Weltrevolution nun einmal wichtiger war. Steiner fährt nach Leipzig, mit dem festen Vorsatz, ihren Vater zu töten, wo sie just dann ankommt, als Sommers Haus von ortsansässigen Nazis, darunter etliche Polizisten, angegriffen wird. Dann beginnt das Töten …

»Terminus Leipzig« ist ein kleiner, fieser Roman, roh und rau, deutlich bemüht, sich nirgends anzubiedern, jede bequeme Gefälligkeit auszuschließen. Alle Figuren sind gewalttätig in einem gewalttätigen Setting. Die Gewaltgeschichte der extremen Linken ist noch genauso präsent wie die Gewalt der Rechten, wobei ein Hufeisendenken nirgends zu unterstellen ist. Es geht um geschichtlichen Bodensatz, der noch unbearbeitet haftet, und um aktuelle Bedrohungen, die sich in Gewalt­eruptionen entladen. Literarisch zusammengepresst auf 128 Seiten. Die Belagerung des Sonneschen Häuschens erinnert an Annas’ Erstling, »Die Farm«, der wiederum auf John Carpenters Film »Assault on Precinct 13« anspielte. Und es gibt noch eine Klammer: Die Romane von Jean-Patrick Manchette, der »Gründervater« des Neó-Polar und ein radikaler Skeptiker gegenüber jedem revolutionären Pathos, aber dennoch mit präziser politischer Haltung. Das Schlussgemetzel von »Terminus Leipzig« ist eine Hommage an Manchettes »Nada«, mit einem feinen Unterschied …

Der Bezug auf Manchette ist mehr als bloß eine literarische Verbeugung vor einem Großmeister des Genres. Er stiftet einen Konsens darüber, was – über Ländergrenzen hinweg – gelungene Kriminalliteratur sein kann und sein soll. Keine gefällige Kuschel- und Wellness-Lektüre, sondern widerborstige, wo nötig wütende, radikale literarische Auseinandersetzung mit einer durch und durch gewalttätigen Welt.


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