Die Welt durch die Augen eines »American Negro«: Du Bois’ Beobachtungen »Along the color line« erscheinen erstmals in der Sprache der Besuchten: auf Deutsch.


»Europe – where the history comes from«, erklärte der legendäre britische Comedian Eddie Izzard einst seinem amerikanischen Publikum: Europa, das ist da, wo die Geschichte herkommt. Im Wesentlichen tat William Edward Burghardt Du Bois etwas ganz Ähnliches, als er von seiner Weltreise in der späten Zwischenkriegszeit Briefe in die Heimat schrieb. Wie viel gebildeter und kunstsinniger doch in Europa, speziell Deutschland, alle seien, schwärmte Du Bois, aber auch das Lösen von Problemen und die Ausbildung der Arbeiter in der Industrie funktioniere hier einfach so viel besser.

In einer Hinsicht verursacht die Lektüre von »Along the color line. Eine Reise durch Deutschland 1936« heute besonders kuriose kognitive Dissonanzen: Als Afroamerikaner überschlägt sich Du Bois vor Begeisterung angesichts der Freiheit, die er hier erlebt. Er darf in jedes Café oder Restaurant, wird dort mit ausgesuchter Höflichkeit bedient und besucht Aufführungen seiner geliebten Wagner-Opern mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie »La forza del destino«, ein »musikalisches Drama zur Hautfarbengrenze«. Kein Vergleich zum strukturellen Rassismus seines Herkunftslandes! Dementsprechend schätzt er Deutschland, das er schon von früheren Besuchen kennt, beherrscht die deutsche Sprache auf hohem Niveau und liebt ihre Kreationen wie »Schadenfreude«. 1936 kam Du Bois im Rahmen der Olympischen Spiele nach Deutschland. Ein Jahr zuvor hatte Hitler die »Nürnberger Rassengesetze« eingeführt.

Wer dem damals 58-jährigen Sozialwissenschaftler und Publizisten nach den ersten Seiten Naivität unterstellt, wird bald eines Besseren belehrt. Mit den wöchentlichen Reiseberichten belieferte Du Bois die von ihm herausgegebene Zeitung »The Pittsburgh Courier«. Die Texte erschienen klarerweise immer mit einer gewissen Verzögerung. So schreibt Du Bois gegen Ende seines Deutschland-Aufenthalts allmählich immer mehr Klartext. Er seziert Hitler und das, was er aus den Deutschen macht, mit einer aus heutiger Sicht erstaunlichen Treffsicherheit. Das kann er sich trauen, weil er weiß, er wird zum Zeitpunkt der Veröffentlichung längst nicht mehr im Land sein.

Auf die übersetzten Reiseberichte folgt ein ausführliches Nachwort des Herausgebers: Der Berner Komparatistik-Professor Oliver Lubrich hat sich auf Zeugnisse internationaler Autoren aus Nazi-Deutschland spezialisiert. Vorangestellt ist den Texten eine »Vorbemerkung zur historischen Begrifflichkeit«, die interessante Einblicke in den Arbeitsprozess der Übersetzerin Johanna von Koppenfels bietet. Denn den von Du Bois verwendeten Begriff »Negro« durch »Schwarze:r«, »Afroamerikaner:in« oder »Person of Color« zu übersetzen, lese sich zu modern, beziehungsweise gibt es bei ihm ja auch das Wort »black«. Das N-Wort kommt aus anderen Gründen offensichtlich nicht infrage. So blieb von Koppenfels beim englischen »American Negro« und setzte den Ausdruck kursiv.

Biografisches

Bekanntheit erlangte W.E.B. Du Bois (1868–1963) als Anführer der aktivistischen Niagara-Bewegung, die Gleichstellung für Schwarze forderte. Er studierte unter anderem bei Max Weber und schrieb in jungen Jahren Gedichte auf Deutsch. In seinem langen Leben bereiste er voller Neugier die Welt und publizierte zahlreiche autobiografische, wissenschaftliche und sogar fiktionale Bücher. Die meisten behandelten die Themen Rassismus und Kapitalismus, die einander laut Du Bois gegenseitig bedingen – heute eine weit verbreitete These. In der McCarthy-Ära wurde er als linker Intellektueller verfolgt. Die schönste Geschichte über ihn ist nicht belegt, doch wäre es gar wundervoll, wenn sie wahr wäre: 1895 promovierte er als erster Schwarzer an der Harvard University. Wie geehrt er sich fühle, fragte man ihn. Du Bois soll geantwortet haben: »Eine Ehre, das versichere ich Ihnen, war das für Harvard.«

Zitate

William Edward Burghardt Du Bois im Wortlaut:

»In Wahrheit sieht die harte menschliche Natur es gerne, wenn das Unglück möglichst weit verbreitet ist, damit sich nicht allzu viele Menschen etwas auf ihr Glück einbilden können.«

Über Schadenfreude. S. 13.

»Im Sport […] treten nun unter den Amerikanern auf einmal schwarze Männer und Frauen auf. Zunächst einmal erstaunt das die Europäer. Der Durchschnittsbürger ging davon aus, die Hauptbeschäftigung schwarzer Amerikaner bestehe darin, sich lynchen zu lassen.«

Über die Olympischen Spiele in Berlin. S. 49f.

»Sie kennen den Preis, den sie bezahlen müssen, und sie hassen ihn. Sie hassen Krieg, hassen Spionage, hassen den Verlust ihrer Freiheiten. […] Hätten andere und weniger gefährliche Wege zum gleichen Ende geführt? Deutschland fragt nicht danach. Deutschland ruft einfach: ›HEIL HITLER‹!«

Über die Deutschen und den Hitler-Staat. S. 84.

»Natürlich ist es nicht das Wien des 19. Jahrhunderts – und für die Menschheit ist das nur gut. Der Zauber dieser Vergangenheit ist noch zu spüren wie der Hauch eines Parfums, doch es ist ein Duft von Dingen, die selbst in ihrer Anmut und Schönheit abgestorben und ungesund sind.«

Über Wien. S. 109.

W.E.B. du Bois, Oliver Lubrich (Hg.)
»Along the Color Line«. Eine Reise durch Deutschland 1936
Ü: Johanna von Koppenfels
C.H.Beck, 168 S.