Katharina Mau macht den Anfang vom »Ende der Erschöpfung«. Foto: Löwenzahn/Frank Stolle.


Ihr aufrüttelndes und Mut machendes Plädoyer weist konkrete Wege aus der Klimakrise: Degrowth ist ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das uns zu einer (klima-)gerechteren Welt führen kann, in der alle gut leben. Klug, ambitioniert und akribisch recherchiert! Das Interview mit der gelernten Volkswirtin.

Als Einzelne/r fühlt man sich oft hilf- und machtlos angesichts der pessimistischen Prognosen, was Klima und Umwelt betrifft. Wie geht es Ihnen da und was kann man gegen die Resignation tun? Haben wir es wirklich noch in der Hand, die Katastrophe aufzuhalten? Was gibt Ihnen Hoffnung, wie bleiben Sie hoffnungsvoll? 

Als ich angefangen habe, mich sehr intensiv mit der Klimakrise zu beschäftigen, habe ich mich oft hilflos und allein gefühlt. Inzwischen bin ich viel im Austausch mit Menschen, die die Klimakrise beschäftigt und die sich entschieden haben, aktiv zu werden. Das ist das beste Mittel gegen die Angst. Ich selbst engagiere mich im Netzwerk Klimajournalismus Deutschland. Wir vernetzen Journalist/innen und unterstützen sie dabei, fundiert und angemessen über Klima als Dimension jedes Themas zu berichten. 

Was bedeutet der Begriff Degrowth ganz kurz für unsere Leser/innen erklärt? Was können und müssen wir konkret tun, damit die in Ihrem Buch vorgestellte Utopie keine bleibt?

In unserer auf Wirtschaftswachstum fokussierten Gesellschaft provoziert der Begriff »Degrowth« erstmal: Er fordert dazu auf, sich von der Idee zu lösen, dass die Wirtschaft immer weiterwachsen muss. Indem wir (vor allem im Globalen Norden) weniger produzieren und konsumieren, können wir die Belastung für die Umwelt reduzieren und wieder innerhalb planetarer Grenzen wirtschaften. Wichtig: Das bedeutet, die ökologisch besonders schädliche Produktion zurückzufahren. Die Mehrheit der Degrowth-Forschenden betont, dass wir andere Bereiche ausbauen müssen, zum Beispiel erneuerbare Energien und Stromspeicher, öffentliche Verkehrsmittel und eine allgemeine Grundversorgung für alle. Die Degrowth-Transformation soll dazu beitragen, ein gerechteres Wirtschaftssystem zu schaffen und kann nur demokratisch, also über politische Mehrheiten, passieren. Kern von allem ist das Ziel, dass alle Menschen gut leben können.

Der Verzicht Einzelner ist (viel) zu wenig. Was muss/soll der Staat tun? Inwiefern müssen wir als Bürger/innen selbst aktiv werden?

Ich finde es wichtig, dass wir in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion anerkennen, dass es Obergrenzen gibt. Mit dem Pariser Klimaabkommen haben sich Staaten weltweit darauf verständigt, die Erderhitzung auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C zu begrenzen. Von Regierungen und allen demokratischen Parteien erwarte ich, dass sie Pläne vorlegen, wie wir diese Grenzen auch einhalten können. Dafür müssen wir als Gesellschaft in schwierige Debatten gehen: Welche Branchen brauchen wir, damit alle gut leben können? Wo können wir klimaschädliche Industriebereiche zurückfahren? Wichtig dafür sind eine ehrliche und wissenschaftsbasierte Kommunikation und dass wir alle möglichst viel über die Veränderungen, die um uns herum passieren, mitbestimmen können.

Das Wort Verzicht löst außerdem bei vielen sofort eine Abwehrreaktion aus. Wie überzeugt man diese Menschen?

Ich denke, wir sollten weniger von Verzicht sprechen. Degrowth fragt, wie wir unsere Wirtschaft so organisieren können, dass alle Menschen genug haben. Das bedeutet auch, Ressourcen anders zu verteilen. Wer jetzt seine Wohnung nicht genug heizen kann oder nicht den Schulausflug oder Sportverein für die Kinder bezahlen, hätte durch eine Degrowth-Transformation weniger finanzielle Sorgen und mehr Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Unsere Gesellschaften wären weniger ungleich, wir würden weniger erwerbsarbeiten und hätten mehr Zeit, um uns mit Freund/innen zu treffen, zu schlafen oder Sport zu machen.

Nur ein Ende unseres kapitalistischen Wachstumsdenkens kann die Katastrophe noch aufhalten. Das erfordert auch ein neues Gesellschaftssystem, in dem Leistung anders, neu bewertet wird. Sie sprechen es in Ihrem Buch an: Politiker/innen denken leider meistens nur ein oder zwei Wahlperioden lang und sie brauchen die Wähler/innenstimmen aus der Wirtschaft und Industrie. Die Zeit läuft uns aber davon. Wie gegensteuern, was dagegen tun?

Ich denke, das ist eine der zentralen Fragen in der Klimapolitik und natürlich gibt es darauf keine einfachen Antworten. In meinem Buch stelle ich Ansätze vor, bei denen Bürger/innen stärker über die Veränderungen, die um sie herum passieren, mitbestimmen. Ein Beispiel dafür sind die Bürger/innenräte, die es unter anderem auch in Österreich und Deutschland zum Thema Klima gegeben hat. Die Vorschläge, die zufällig geloste Bürger/innen zum Klimaschutz machen, gehen oft weiter als das, was Regierungen gerade umsetzen. Wie wir solche Anregungen stärker in die Entscheidungen von Politiker/innen integrieren können, wird in der Forschung zu dem Bereich intensiv diskutiert.

Was erhoffen Sie sich von einem guten Politiker, einer guten Politikerin? Was ist eine erfolgreiche Umweltpolitik?

Insgesamt würde ich mir in politischen Diskussionen mehr Ehrlichkeit wünschen. Wir stecken in den verschiedensten Krisen und immer wieder klingen politische Diskussionen so, als ob wir uns aussuchen könnten, ob wir denn jetzt Klimaschutz betreiben oder nicht. Außerdem muss erfolgreiche Umweltpolitik immer auch soziale Gerechtigkeit mitdenken. Wir brauchen höhere CO2-Preise, aber gleichzeitig einen Ausgleich für die Menschen, die wenig Geld haben – und insgesamt weniger Ungleichheit.

Wenn Sie sich die gegenwärtige politische Weltlage ansehen: Für wie umsetzbar, wie realistisch halten Sie die im Buch vorgestellten Ideen in der nahen Zukunft?

Ich sehe die Vorschläge, die ich beschreibe, nicht wie eine Landkarte, die genau vorgibt, auf welchem Weg wir zum Ziel kommen. Eher wie einen Kompass, der eine mögliche Richtung zeigt, auf die wir uns bei einzelnen Entscheidungen und Debatten immer wieder berufen können. Klar ist, dass wir nicht innerhalb von ein paar Jahren unsere komplette Wirtschaft umbauen, riesige Umschulungsprogramme stemmen oder unser Geldsystem reformieren.

Irgendwo muss man anfangen – und das geht auch. Regierungen können mehr Geld in grüne Infrastruktur investieren und den öffentlichen Nahverkehr kostenlos oder sehr günstig machen. Sie können attraktive und gut bezahlte Umschulungen für Menschen in klimaschädlichen Jobs anbieten. Sie können die Grundsicherung erhöhen und Sanktionen streichen. Wenn wir den Fokus auf Wirtschaftswachstum hinterfragen, kann sich viel entwickeln.

Wie wichtig ist eine neue Zeitkultur für den Umweltschutz?

John Maynard Keynes, einer der bekanntesten Ökonomen des 20. Jahrhunderts hat schon vor etwa 100 Jahren in einem Aufsatz darüber spekuliert, ob wir heute vielleicht nur noch 15 Stunden pro Woche erwerbsarbeiten werden. Wenn wir den Zugang zu den Dingen, die wir zum Leben brauchen, gerechter verteilen würden, könnten wir tatsächlich weniger erwerbsarbeiten – ob wir dann bei 15 Wochenstunden rauskommen würden, weiß ich nicht. Für viele wäre das eine enorme Entlastung. Wir hätten mehr Zeit für andere Dinge, wären weniger gestresst.

Und auch für die Umwelt könnte es besser sein, wenn wir insgesamt weniger erwerbsarbeiten würden. Denn entgegen dem gängigen Narrativ ist Arbeit nicht nur produktiv, sie kann auch zerstörerisch sein. Zum Beispiel da, wo Firmen versuchen, Bedürfnisse zu schaffen – um Produkte zu verkaufen, die Menschen nicht brauchen.

Haben Sie Verständnis für die Klimaproteste z. B. der Letzten Generation, was halten Sie von den Klebeprotesten, die sogar viele Sympathisant/innen verärgern, oder von den Protesten, die auch vor Gemälden, vor Kunst nicht Halt machen usw.? Wie sinnvoll ist das?

Man liest immer wieder, Aktivist/innen der Letzten Generation würden Kunst angreifen. Dabei wurden die Glasscheiben vor den Gemälden beworfen oder beschmiert, nicht die Gemälde selbst. Da finde ich es wichtig, zu differenzieren. Außerdem hat die Letzte Generation angekündigt, dass die Aktivist/innen sich nicht mehr auf die Straße kleben, sondern andere Protestformen wählen wollen. Wie sinnvoll die genannten Protestformen sind, möchte ich hier nicht bewerten. Ich habe mich nicht genug mit zivilen Protesten und deren Wirkung beschäftigt, um das gut einschätzen zu können.

Was macht ein gutes Leben aus?

Das gute Leben ist ein zentraler Begriff in meinem Buch. Um ihn greifbar zu machen, beziehe ich mich auf ein Konzept des chilenischen Ökonomen Manfred Max-Neef. Zusammen mit einem Team hat er in den 80er Jahren neun verschiedene menschliche Bedürfnisse herausgearbeitet, die aus seiner Sicht universell für alle Menschen gelten. Dazu gehört das Bedürfnis nach den grundlegenden Dingen, die wir zum Leben brauchen, wie zum Beispiel Essen oder ein sicheres Zuhause. Aber auch das Bedürfnis nach Teilhabe, nach Müßiggang oder nach Zuneigung.

Beim guten Leben sind all diese Bedürfnisse erfüllt, das sieht aber natürlich nicht für alle Menschen gleich aus. Je nachdem, wo Menschen leben, brauchen sie eine Heizung, um nicht zu frieren, oder eine Klimaanlage, um sich abzukühlen. Manche brauchen einen Rollstuhl, um sich fortzubewegen, andere ein Asthmaspray, um gut atmen zu können.

Sobald wir die menschlichen Bedürfnisse in den Mittelpunkt des Wirtschaftssystems stellen, können wir anders abwägen und Entscheidungen treffen. Sollten Unternehmen große Autos produzieren, weil sie dadurch vielleicht Arbeitsplätze erhalten und weil manche Menschen gern solche Autos fahren? Oder schaden große Autos eher, weil sie viel Platz in den Straßen wegnehmen? Brauchen wir die Ressourcen und die Arbeitskraft nötiger in anderen Bereichen? Sobald Wirtschaftswachstum nicht mehr das oberste Ziel ist, können wir uns ganz andere Fragen stellen und dadurch zu neuen Lösungen kommen.


Katharina Mau studierte International Economics und arbeitet als freie Journalistin mit den Schwerpunkten Klima, Wirtschaft und Mobilität u.a. für Zeit Online und Focus Business. Sie ist Teil des Netzwerks Klimajournalismus Deutschland, für das sie den Newsletter »Onboarding Klimajournalismus« hostet (mehr auf katharinamau.de).

Katharina Mau
Das Ende der Erschöpfung. Wie wir eine Welt ohne Wachstum schaffen
Löwenzahn, 232 S.
ET: 2. Mai