Vielen ist Künstliche Intelligenz unheimlich. Drei neue Publikationen zeigen, dass sie sich zumindest unheimlich schnell entwickelt. Foto: Shutterstock.


KI steht für künstliche Intelligenz und bezieht sich auf Maschinen oder Computerprogramme, die so entwickelt wurden, dass sie in der Lage sind, menschenähnliche Denkprozesse auszuführen. Das bedeutet, dass sie bestimmte Aufgaben ausführen und Entscheidungen treffen können, indem sie Daten sammeln und analysieren, Muster erkennen und daraus lernen.

Und? Haben Sie’s bemerkt? Die letzten 47 Wörter wurden von einer KI produziert, die ich mit der Aufforderung gefüttert hatte, »KI« zu erklären. Sie heißt ChatGPT, und erfreut sich zunehmender Beliebtheit, obwohl ihr voller Name »Chat Generative Pre-training Transformer« kaum je erwähnt wird. Ein derart »menschlicher« Text wäre vor drei Jahren kaum vorstellbar gewesen. Damals lieferten KIs nämlich noch recht kryptische und zum Teil auch abgebrochene Texte, wie es beispielsweise Daniel Kehlmann in »Mein Algorithmus und ich« (Klett-Cotta, 2020) beschrieb.

Maschinen mit Persönlichkeiten

Dass das heute ganz anders läuft, zeigt Kenza Ait Si Abbou in ihrem Buch »Menschenversteher«. Die deutsche Ingenieurin mit marokkanischen Wurzeln sortiert zunächst sehr anschaulich den »KI-Werkzeugkasten«, inklusive Erklärung der »neuronalen Netze«, die heutigen Programmen ein vielschichtiges Lernen (Deep Learning) ermöglichen. Für die exponentielle Entwicklung der KIs in den letzten Jahren sei dies aber nur ein Faktor. »A+B+C« laute die ganze Formel der enormen Lernfortschritte: Algorithmus plus Big Data plus Computing Power. Neben immer besserer Programmierung spielen also auch die rasant wachsenden Wissens-Datenbanken und die Vervielfachung der Rechnerleistung wesentliche Rollen. Der Autorin geht es vor allem um die emotionale künstliche Intelligenz: Wie können Maschinen, die Menschen versorgen und begleiten sollen, deren Emotionen erfassen und daraus adäquate Reaktionen ableiten, die den Menschen Verständnis vermitteln? »Es geht darum, was diese Technologie mit uns macht,« meint die Autorin. Wie emotional das werden kann, zeigt sie auch am Beispiel vieler Science-Fiction-Filme von »Star Wars« bis »Ich bin dein Mensch« und an eigenen Erlebnissen, etwa den Publikumsreaktionen auf Vorträge, die die versierte Bloggerin über maschinelle emotionale Intelligenz immer wieder hält. Neben der gar nicht so häufigen Kombination von technisch fundiert und leicht verständlich bringt Ait Si Abbou den Leser/innen auf eine sehr persönliche Weise die Persönlichkeiten von intelligenten Maschinen näher; korrigiere: die Mechanismen lernfähiger Algorithmen, die aus angemessenen Reaktionen auf menschliche Emotionen den Eindruck entstehen lassen, dass die solchermaßen reagierende KI eine Person sei.

Simulation sozialen Verhaltens

»Shift« ist ein Ausstellungsprojekt über Kunst, KI und die gemeinsame Zukunft der beiden – zu sehen im Kunstmuseum Stuttgart und dem Museum MARTa Herford noch bis zum 21.05.2023. Dazu gehört auch die vorliegende Publikation, die mehr ist als nur ein Ausstellungskatalog. In elf Artikeln zeigen Wissenschaftler/innen und Künstler/innen, wie sie KI sehen und nutzen. Im Rundgang lernt man nun einerseits die Kunstwerke in Bild und Text kennen. Man begegnet zum Beispiel den »Repräsentantinnen«, lebensgroße Figuren mit dem Aussehen und der Stimme der Künstlerin Louisa Clement, die diese aus KI-gesteuerten Sexpuppen gebaut hat. Die hybride Lebensform der Xenobots, Mikroroboter, die aus den Zellen von Krallenfröschen entwickelt wurden, setzt das Künstlerkollektiv kennedy+swan filmisch in Szene. Der Künstler Hito Steyerl hat eine KI-gesteuerte Simulation sozialen Verhaltens geschaffen, in der er Figuren auf Basis der Daten polizeilicher Gewalt in Deutschland tanzen lässt. Auf dem Weg durch die Publikation (und durch die Ausstellung) erhält man zugleich Einblicke in den wissenschaftlichen Hintergrund und erfährt, warum Deep Learning die KIs so mächtig gemacht hat, wie ChatGPT trainiert wurde, oder wo sich der menschliche Intelligenzbegriff für eine höchst allgemeine Anpassungsfähigkeit von jenem der stets äußerst spezifischen Künstlichen Intelligenz unterscheidet. All das gibt es auf der linken Buchseite stets auf Deutsch, auf der rechten auf Englisch zu lesen. Fotos der Ausstellungen sind dazwischen eingestreut. Dieser zu einem kleinen Buch weitergesponnene Ausstellungs-Katalog bietet einen kurzen, bunten kaleidoskopischen Blick auf die Schnittstelle zwischen Kunst und Künstlicher Intelligenz.

Rechner aus Schleimpilzen

Computer können ganz schön lebendig sein. In »Die unfassbare Vielfalt des Seins« demonstriert James Bridle den Krabben-Computer, mit dem japanische Forscher an der Universität Kobe das Grundelement aller logischen Operationen, ein UND-Gatter, mittels zweier sich gegeneinander bewegender Schwärme von Soldatenkrabben konstruierten. Und er schlägt vor, »einen extrem schnellen und effizienten Computer aus Schleimpilzen zu bauen, die wie ein Siliziumchip auf ein Substrat aufgebracht werden« – nachdem jüngst bewiesen wurde, dass die Pilze durch die Art ihrer Verbindungen komplexe logistische Probleme lösen können. Der Informatiker beschäftig sich vor allem mit Kunstinstallationen und zukunftsweisenden Gedankenexperimenten. Die Welt der künstlichen und natürlichen Intelligenz hat er unter anderem bereits für WIRED, den OBSERVER und BBC Radio 4 erklärt. KI scheint er bereits hinter sich gelassen zu haben, weiß aber dabei offensichtlich, wovon er spricht. Vor einigen Jahren hatte er sich ein KI-System zur Navigation seines Autos zusammenbastelt, zog aus, um es an den malerischen Hängen des griechischen Parnass zu trainieren – und lockte es in eine Falle, einen Kreidekreis aus einer »Einfahrt verboten« suggerierenden Linie, aus dem das Fahrzeug nicht mehr ausbrechen konnte. Das Video davon ging viral.

Zum Wohl der Menschheit

Bridle spricht von »mehr als menschliche Intelligenz« – und meint damit die Kombination biologischer Systeme (wie jenes der Schleimpilze), deren Problemlösung anders funktioniert als jene von digitalen Computern und KIs. Ein bisschen wirken diese in der Betrachtung des Autors wie Kinderspielzeug. In ihrem binären Null-oder-Eins-Denken sieht er weder die technische noch die gesellschaftliche Zukunft: »Nichtbinär zu sein, sowohl in menschlicher als auch in maschineller Hinsicht, bedeutet, die falschen Dichotomien, die Gewalt als unmittelbare Folge von Ungleichheit hervorbringen, rundweg abzulehnen.« Werden denn in Zukunft Maschinen Menschen beherrschen? »Es gibt keine klare Antwort darauf«, meint ChatGPT auf diese Frage, und weiter: »Die meisten Experten sind der Meinung, dass es unwahrscheinlich ist, dass dies passieren wird, aber es gibt auch einige, die besorgt sind.« Wie die menschlichen Autor/innen äußert hierbei auch die KI einen moralischen Anspruch: »Wir müssen sicherstellen, dass wir uns bewusst mit den potenziellen Risiken von KI auseinandersetzen und sie so gestalten, dass sie zum Wohl der Menschheit beitragen.« Abgesehen von der hier nicht klar zu beantwortenden Frage wer genau »wir« wäre (alle Menschen und alle KIs gemeinsam?) herrscht über den ethischen Imperativ, mit diesen immer mächtigeren Instrumenten achtsam umzugehen, offenbar große Einigkeit.

Aus: Buchkultur 207, 14. April 2023.

Kenza Ait Si Abbou
Menschenversteher.Wie Emotionale Künstliche Intelligenz unseren Alltag erobert
Droemer, 252 S.

Kunstmuseum Stuttgart, Museum MARTa Herford (Hg.)
SHIFT. KI und eine zukünftige Gemeinschaft
Wienand, 144 S.

James Bridle
Die unfassbare Vielfalt des Seins. Jenseits menschlicher Intelligenz
C.H.Beck, 432 S.