Mark Lehmstedt präsentiert seine umfassend schöne Sammlung von bedruckten Buchverpackungen. Foto: Deutsches Buch- und Schriftmuseum, Lehmstedt Verlag.
Es war einmal eine Zeit, die Älteren dürften sich nebelhaft erinnern, da kaufte man Bücher bei der Stammbuchhandlung zwei, drei Ecken entfernt. Und hatte die Buchhändlerin dann erfolgreich mehr als zwei oder drei, gar, wenn Weihnachten war, vier Bände wärmstens empfohlen, kamen diese in eine größere Papiertüte, im Süden auch Sackerl genannt.
Bücher, zumindest die traditionell hergestellten, bestehen ja bekanntlich nicht nur innen aus Papier. Auch drum herum. Papiertüten kleben, das war einst eine Gefängnisinsassen klassisch vorbehaltene Tätigkeit. Aber die papierene Buchtüte hat eine viel ältere Geschichte, die bis ins 17. Jahrhundert zurückgeht. Damals endeten Makulaturbände – also Exemplare, die niemand mehr kaufen wollte – und deren herausgerissene Seiten als gefaltete Papiertaschen und -täschchen, etwa für Kleineinkäufe, zur Vorratshaltung oder Portionierung von Gewürzen oder Sämereien. Den Barockdichter Moscherosch traf dies ins Herz: »Ist denn gar niemand, der sich meiner Noth annehmen will und den Wurzkrämern verbieten, ihre Tüten aus meinen Büchern zu machen?«
Mark Lehmstedt, Verleger in Leipzig, Mitglied der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und habilitierter Buchwissenschaftler, hat nun eine Auswahl aus seiner über Jahrzehnte zusammengetragenen Pack-Kollektion (unpackbare 3000 Stück!) getroffen. Diese außergewöhnliche Sammlung übereignete er im Jahr 2020 dem Deutschen Buch- und Schriftmuseum, das der Deutschen Nationalbibliothek angegliedert ist.
Und historisch ist dies Werbemittel heute tatsächlich, abgelöst von Jutebeuteln oder eben gesichtslosen austauschbaren Postkartons. Aber Buchtüten waren nie gesichtslos, nie austauschbar. Das zeigen die 664 Beispiele. Sie reichen von kurios und künstlerisch verunglückt bedruckt bis abgefahren, witzig, royal (»die Buchkönigin«), doppelsinnig (»Ich steh’ auf Bücher« – und man sieht einen stehenden Schattenrissmann, der auf Büchern steht), schriftklassisch oder typo-wild sowie schlechterdings die einzig wahre Rettung des Planeten verkündend: »Bibliomanics of the world – unite and take over!« Es gibt unterschiedliche Formate, auch als Schulterhenkelvariante. Neben Kalendersprüchen (»Schenk ein Lächeln, schenk ein Buch«) und Hilferufen (Diogenes Verlag: »Wir wünschen uns mehr Leser. Kennen Sie vielleicht jemanden?«) gibt es auch explizit praktikabel Lebenskünstlerisches: »Lesen statt Putzen.«
Beitrag zuerst erschienen in Buchkultur 196, Juni 2021.
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Mark Lehmstedt
Buchtüten. Werbung für das Buch.
Lehmstedt, 120 S.