Will Eisner verlieh dem Comic Würde und Intellekt. Foto: im Tudor-City-Studio, New York City, 1941, Will Eisner Studios, Inc.


Einer der revolutionärsten Comics aller Zeiten erschien im Oktober 1978: eine abgeschlossene Geschichte, die ein ernsthaftes Thema behandelte, nämlich die der jüdischen Einwanderer von New York, ihrem Leben in der Bronx. Einem Leben, in dem auch der Autor dieser Geschichte in den 1930er-Jahren aufwuchs. Unüblich war dazu, dass diese Publikation, im Gegensatz zu den damals üblichen Comic-Heften, einen festen Einband hatte und über den Buchhandel vertrieben wurde, um den literarischen Anspruch auch so zu untermauern. Bis dahin hatten Comics keinen Platz im Buchhandel, vom Feuilleton wurden sie nicht wahrgenommen.

Der Verfasser, Will Eisner, bezeichnet sein Buch mit dem Titel »Ein Vertrag mit Gott« auf dem Cover und im Vorwort als Graphic Novel. Damit wurde er von vielen zum Erfinder, zum Vater dieses Genres erkoren. »Das ist gut gemeint, aber irreführend in der Begrifflichkeit«, meint der Herausgeber seiner soeben erschienenen Monografie, Alexander Braun. Man kann etwas Hybrides wie die Graphic Novel nicht »erfinden«. So etwas entwickelt sich sukzessiv und findet dann – gespeist aus vielen Quellen – irgendwann zu einer schlüssigen Form. Eisner sei für ihn vielmehr so etwas wie der »Godfather«, also der Pate.

In »A Contract with God« verzichtete Eisner 1978 völlig auf die Superheldenkomponente und erzählte eine abgeschlossene Geschichte. Er verhalf dem Genre der Graphic Novel zum Durchbruch.

Eisners jüdischer Vater stammte aus Wien, gemeinsam mit der rumänischen Mutter wanderten sie in den Wirren des Ersten Weltkriegs nach New York aus. Dort erblickte Will 1917 das Licht der Welt, bereits mit 23 Jahren bekam er die Gelegenheit, eine Comicbeilage für Zeitungen zu produzieren, und revolutionierte mit »The Spirit« das Comic-Genre. Fast 20 Jahre lang schien Eisner danach aus der Szene verschwunden, er produzierte Betriebsanleitungen mit Zeichnungen, unter anderem Comics, die Soldaten den richtigen Umgang mit Waffen und Fahrzeugen erklärten. Seine dritte Schaffenszeit widmete er der Graphic Novel, definierte die Sprache neu, brachte innovative grafische Stilelemente ein, sein Spiel mit Licht und Schatten wurde zum Markenzeichen. Doch der Kern bestand für ihn darin, dass das Schreiben im Mittelpunkt stand. Die Zeichnungen, die ihm so mühelos gelangen, dienten stets der Geschichte.

Knapp 20 Graphic Novels legte Eisner vor, im letzten Band des 2005 verstorbenen Erzählers und Zeichners, erfolgreichen Geschäftsmanns und Pädagogen deckt er die Fälschungen rund um die sogenannten Protokolle der Weisen von Zion auf (»Das Komplott«). »Eisner hatte dem Comic zu einer Zeit Würde und Intellekt verliehen, als niemand glaubte, dass der Comic solche Privilegien besitzen sollte. Und er hat dem Comic dreißig Jahre später (…) in Form der Graphic Novel zum literarischen Durchbruch verholfen«, so Alexander Braun, der von den Erben bei der Erstellung dieser ersten gültigen Monografie in deutscher Sprache nicht reglementiert wurde; er hat sie hochqualifiziert und würdig zusammengestellt.

Beitrag zuerst erschienen in Buchkultur 194, Februar 2021.

Alexander Braun (Hg.), „Will Eisner – Graphic Novel Godfather“ (avant-verlag), 384 S.