Ich weiß nicht, ob andere das auch kennen, aber ich gebe mich manchmal Business-Fantasien hin, in denen eine eigentlich wilde Idee plötzlich nicht ganz unvernünftig und durchführbar erscheint – bis die normale Klarheit wieder einsetzt und nach dieser vielleicht zur Entspannung notwendigen Gehirnentladung zu langweiligeren Formen des Geschäfts zurückgekehrt werden kann. Foto: Claudia Ast.


So eine Fantasie hatte ich einmal ein, zwei Teetassen lang bezüglich Österreich: Wie wäre es, mit unserem deutschen Verlag nach Österreich zu gehen oder noch einfacher: sich mit dem Programm unter das Dach eines österreichischen Verlages zu begeben und dann nicht nur in diesem Land zu leben (das wir nur als von Menschen und Gegenden immer verwöhnter Besuch kennen), sondern vor allem von der legendären Verlagsförderung etwas abzubekommen! Wir in Deutschland nehmen Kritik an dieser Förderung, die nach langen Jahren der Existenz und in heutiger Lage ganz sicher in der Summe und beim Begünstigtenkreis erweitert werden müsste, wenig wahr, denn was wir hauptsächlich sehen, sind befreundete Verlage mit großartigen Programmen, die genauso unter schlechten Bedingungen stöhnen und leiden (gestiegene Papier- und Druckkosten, verschwindendes Lesepublikum, sich auflösendes Feuilleton etc. etc.), aber von ihrem Land deutlichen Rückenwind für ihr kulturell wichtiges Tun erhalten, während uns nicht mehr ganz die kalte, aber immer noch eine eher lauwarme Schulter gezeigt wird.

Ich glaube auch, dass der besonders große und innovative Einfluss der österreichischen Literatur auf den deutschsprachigen Raum auf diese literarisch gerichtete Förderung zurückzuführen ist, denn in Österreich können sich literarische Szenen besser entfalten und beispielsweise auch durch mal ungereifte Veröffentlichungen aneinander wachsen. Die unter stärkerem Anpassungs- und Marktdruck leidende Literaturwelt in Deutschland kennt das nicht. Noch schlimmer: Die kulturelle Arbeit der Verlage ist in extremer Gefahr; ein Gefühl, nein: ein Wissen, das sich immer mehr verstärkt.

Gleichzeitig sind Ideen zur strukturellen Förderung in ihren Anfängen steckengeblieben, obwohl ein Gutachten im Auftrag der vorigen Bundesregierung deren unbedingte Notwendigkeit festgestellt hat. Die Bundesländer kochen ihre unterschiedlichen, manchmal wenigstens mit diesen und jenen Verlagsehrungen gewürzten Süppchen, kommen aber nicht zu einer Zusammenarbeit. Der Bund hat viel Arbeit und etwas Ärger mit dem Deutschen Verlagspreis (358 Bewerbungen, 64 Bepreiste, davon die meisten mit 24000 Euro versehen, drei Verlage mit 60000 Euro). Der Ärger kommt von der Beleidigung des Aussortierens. Nachdem die, die sich beworben haben, per Formular als förderwürdig anerkannt wurden, entscheidet eine Jury, wer etwas bekommt und wer nicht – sicher fachlich versiert, aber unweigerlich auch menschlich persönlich. Das führt zu Verletzungen, die sich unter dem großen Existenzdruck vieler Verlage in zu große Bitternis steigern. Und nicht alle besitzen die Größe, die Juryentscheidung nicht im Einzelnen zu hinterfragen, obwohl klar ist: Alle Zugelassenen haben Förderung verdient. Eine Lotterie würde jedenfalls weniger seelischen Schaden anrichten (und wäre vermutlich weniger aufwendig).

Aber den größten Schaden wird die deutsche Gesellschaft erleiden, wenn sie dem Ächzen der deutschen unabhängigen Verlage nicht besser lauscht. Braucht sie uns oder nicht? Will sie die Verlagskultur und damit die Garantie einer qualitätsvollen geistigen Vielfalt einem immer unmöglicher werdenden Marktgeschehen überlassen, in dem die Opferbereiten fortlaufend auf- und untergehen? Dauernd verschwinden die besten Verlagsprojekte wieder, nachdem sie in der Öffentlichkeit eine Weile bejubelt wurden. Aber es kommen auch immer wieder neue, richtig. Darauf verlässt sich Deutschland.

Axel von Ernst ist freier Autor, Co-Verleger der Verlage Lilienfeld und C.W. Leske in Düsseldorf, Vorstand des Vereins der Hotlist unabhängiger Verlage sowie Lehrbeauftragter für Verlagspraxis und Literaturtheorie u. a. an den Universitäten Bamberg und Bielefeld.