Der US-amerikanische Astrophysiker Neil deGrasse Tyson über angeblich pazifizierende Wirkungen der Wissenschaft vom Kosmos. Foto: Shutterstock.


Der gebürtige New Yorker Neil deGrasse Tyson ist Direktor des Hayden Planetariums innerhalb des Rose Center for Earth and Space im New Yorker Central Park und war fast zwei Jahrzehnte lang der bekannteste TV-Astrophysiker der USA. Neben seiner Leitungsposition noch Hochschullehrer, Kolumnist, begeisternder Moderator von Wissenschaftssendungen und Festredner, wurde er mit den höchsten Wissenschaftsehrungen der USA ausgezeichnet; sogar einen Grammy erhielt er, 2019, für das Best Spoken Word Album, die Lesung von »Astrophysics for People in a Hurry«, zu deutsch »Das Universum für Eilige«. Ende 2018 wurden gegen ihn Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffigkeit laut, er zog sich aus der Öffentlichkeit zurück, seine Hochschule entlastete ihn nach längerer Untersuchung.

Nun ein neues, leicht zu lesendes Buch von Amerikas Pendant zu Harald Lesch, sein 17. (Nr. 18, »To Infinity and Beyond«, erschien jüngst in den USA). Der Originaltitel lautete »Starry Messenger«. Was nicht unbescheiden ist. Denn das ist die Übersetzung des lateinischen »Sidereus Nuncius«, jenes Titels, den Galileo Galilei 1610 für seine Abhandlung verwendete, in der er der Welt Mitteilung davon machte, welche Himmelsbeobachtungen er mit Teleskopen hatte machen können. Gleich zu Beginn schreibt deGrasse Tyson davon, bedauerlicherweise hat Klett-Cotta als Verlag verabsäumt, in einer Fußnote darauf zu verweisen. Ohnehin ist der gewählte deutsche Titel »Im Spiegel des Kosmos« etwas beliebig. Das Adjektiv »cosmic« im Untertitel wurde ganz unterschlagen.

DeGrasse Tyson erzählt mit Enthusiasmus und Verve von seinem Wissens- und Forschungsfeld. Wenn er aber Beispiele aus dem sehr irdischen Hier und Jetzt einflicht, aus der Politik etwa, dann gerät die Darstellung simpel, ja pittoresk idealistisch. So schildert er die nahezu alles umstürzende mediale Revolution des Alltags zwischen 1990 und 2020 – und vergisst bei der Revue des Staunens, die er abschreitet, Politisches, gesellschaftlich Trennendes und die soziokulturell akut sich vertiefenden Schützengräben anti-wissenschaftlichen Unwissens. Das heißt nicht, dass er zur Gänze vehement naiv ist und die Welt der Wissenschaft als Idylle neutraler Sachlichkeit, Ausgewogenheit und Forschungsfortschritts skizziert. Er schreibt über Rassismus, Frauenfeindlichkeit, über Homophobie, Ausgrenzung von Minderheiten und Machtmissbrauch. Ob aber der Blick ins All, zu dem der Autor auffordert, tatsächlich die Menschheit so demütig, so nachdenklich und friedlich werden lässt, wie er es hofft?

Neil deGrasse Tyson
Im Spiegel des Kosmos. Perspektiven auf die Menschheit
Ü: Hans-Peter Remmler
Klett-Cotta, 336 S.