Ein Gespräch mit der 41-jährigen Autorin und ausgebildeten Theaterfachfrau über rechte Politik in Deutschland und Österreich, über Berlin, Wien und Kärnten – und nicht zuletzt über die Tücken des Theaters. Foto: Rafaela Pröll.


Sie wurde in Kärnten geboren und wollte da so dringend weg, dass sie mit 14 freiwillig ins Internat ging. Den Startschuss für ihre literarische Karriere gab dann erst recht ein Auftritt im Heimatbundesland: 2019 gewann Julia Jost im Rahmen der »Tage der deutschsprachigen Literatur« in Klagenfurt den Kelag-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Der Text, den sie damals las, ist das Anfangskapitel von Josts frisch erschienenem Debütroman »Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht«. Darin erfindet eine Erwachsene ihr eigenes kindliches Ich beim Erzählen.

Buchkultur: Es hieß mal, Sie leben in Berlin und Wien.

Julia Jost: Tatsächlich bin ich vorletzten Dezember wieder ganz nach Wien gezogen. Aber da sowohl Verlag und Agentur als auch Freund:innen in Berlin leben, ist die Stadt nach wie vor mein zweites Zuhause. Doch den Alltag wieder in Wien zu haben, passt mittlerweile besser zu mir.

Damit reihen Sie sich ein unter viele, die vor der Berliner Wohnsituation fliehen.

Ja, der Wohnungsmarkt ist wirklich ganz fürchterlich. Die Stadtpolitik gibt das ihre dazu, dass es immer schlimmer wird. Das zieht dann natürlich ganz bestimmte Leute an, und andere, ziehen weg.

Hat Wien der Sehnsucht entsprochen? Sind Sie hier zufrieden?

Ja, schon. Ich habe im sechsten Bezirk eine schöne Wohnung gefunden, da habe ich früher auch gewohnt. Das gefällt mir ganz gut: dörfliche Struktur, alte Freundinnen und Freunde. Mein Leben hier ist total entschleunigt. Man geht am Sonntag auf die Straße, und es tut sich genau nichts. Wieder Österreichisch zu hören, löst warme Gefühle aus. Ich war ja 20 Jahre in Deutschland. Und das macht auch was mit mir, einfach durch die Straßen zu gehen und zu sehen, das ist wirklich alte Baustruktur. Hier wurde wenig zerstört.


»In einer Stadt wie Berlin spielt sich alles in Subkulturen ab, da gibt es selten frischen Wind. Die Leute sind eher affirmativ, das hat mich zuletzt genervt.«


Julia Jost

Was ist aus den rechten Tendenzen in der Heimat geworden, vor denen Sie ursprünglich weggegangen sind?

Ich bin 41, und soweit ich mich erinnern kann, gärte in Kärnten immer eine nationalistische Rechtstendenz. Das hat sich nicht geändert, auch wenn es jetzt eine SPÖ-Landesregierung gibt. Im Grunde genommen gilt das aber für ganz Österreich – wenn man sich die Ex-Bundesregierung anschaut, und wie schwer es ist, Korruption festzunageln und zu verurteilen. Naja, Österreich ist halt klein. Die Leute kennen sich, besonders die mit einem bestimmten Einkommen. Was alles salonfähig ist in diesem Staat, ist schon grausam. Und es frustriert mich auch, definitiv. Aber nichtsdestotrotz bin ich gerne hier. Auch gerade in Wien. Kulturell passiert sehr viel, und die Leute sind kritikfähiger. Das kommt daher, dass man viel Widerstand zu leisten hat und sich öfter erklären muss. Dann kommt man öfter ins Gespräch mit Leuten, die andere Ansichten vertreten. In einer Stadt wie Berlin spielt sich alles in Subkulturen ab, da gibt es selten frischen Wind. Die Leute sind eher affirmativ, das hat mich zuletzt genervt. Ich will damit nicht sagen, für eine kritikfähige Kulturlandschaft braucht es eine rechte Politik, natürlich nicht. Aber ich beobachte schon, dass in diesem Verhältnis auch positive Dinge entstehen.

Man kann also davon ausgehen, dass sich Wien in den letzten 30 Jahren – also seit der Zeit, in der Ihr Buch spielt – stärker entwickelt hat als Kärnten?

Definitiv. Wenn man in Kärnten die Bundesstraße entlangfährt, auf der Jörg Haider verunglückte, ist es richtig gefährlich. Die Leute bleiben mitten auf der Straße stehen, um ihr Auto abzustellen und Kerzchen anzuzünden. Was ich damit sagen will: Eine Aufarbeitung dessen, was in der Jörg-Haider-Periode alles schief gelaufen und an Korruption passiert ist, findet in der Bevölkerung eigentlich nicht statt. Er ist immer noch mystisch aufgeladen als diese glorreiche Figur, als die er sich ganz gut vermarktet hat. Man sieht zwar die kleinen Skandälchen, die passiert sind, verteufeln tut man aber lieber die anderen, die teilgenommen haben. Da hat sich also wenig verändert. 2015 gab es in Ossiach ein Verteilungsasyllager. Der Aufstand der dörflichen Bevölkerung und die Ideen, die die hatten, wie das das Dorf umstrukturieren würde und was da nicht passieren könnte – haarstäubend!

Dann lassen Sie uns doch auf das Buch zu sprechen kommen: Die Ich-Erzählerin hat einen Namen mit dem Initial J. und ist 1982 geboren, Parallelen zu Ihnen als Autorin sind also offensichtlich.

Es ist sicher viel Autobiografisches drin, aber vielleicht spielt auch gar keine Rolle, wann sich die Erzählung wie weit von meinen Erfahrungen entfernt. Denn, was soll ich sagen – wenn wir uns erinnern, wissen wir, dass wir uns falsch erinnern. Wir dichten dazu, wir nehmen weg und gucken durch eine Brille unserer Emotionen. Mich hat diese emotionale Einfärbung von Erinnerungen interessiert. Das war der Start für dieses Buch.

Warum haben Sie sich dann gerade für diese Zeit entschieden? Warum spielt das Buch 1993 und nicht ein bisschen früher oder ein bisschen später?

Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Einer ist das Kind als Erzählerin. Es darf ein bisschen närrisch sein und naiv auf Dinge schauen. Das Groteske entfaltet sich gerade in so einem naiven Blick, den ich altersbedingt in dieser Zeit hatte. Ein anderer Grund: In den Neunzigern war noch New Economy. Allen ging’s gut. In Österreich, gerade in Kärnten: Tourismus. Es gab einen Aufschwung, und man hat positiv in die Zukunft geschaut. Und gerade der Mauerfall oder die Ostblockstaaten haben den Österreicherinnen und Österreichern viel versprochen. Man konnte sich da hineinexpandieren. Man konnte Geschäfte machen.

»Denen können wir jetzt ganz viel verkaufen«, sagt der Vater der Ich-Erzählerin.

Das fand ich interessant, weil es mir darum ging zu erzählen, wie eine Familie bürgerlich werden möchte und das in erster Linie über ein bürgerliches Einkommen versucht. Wenn die bürgerliche Bildung fehlt, kann man nur mit Geld eine andere Gesellschaftsschicht erreichen.

Gleichzeitig fehlt im engen dörflichen Raum die Offenheit, die es dazu eigentlich auch bräuchte. Man hat ein totales Problem damit, wenn die Haare der Tochter kurz sind und der Söhne lang.

Die Norm muss eingehalten werden. Es gibt einen Dresscode. Nicht auffallen wollen. Man soll sich einfügen in dieses gesellschaftliche Bild, das in dieser Gesinnungsgemeinschaft der rechten, traditionsbewussten Dorfbewohner zählt.

Der Roman ist ja eine Weiterentwicklung des Textes, mit dem Sie 2019 am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teilnahmen. War das Ihr erster literarischer Text?

Der erste, der veröffentlicht wurde.

Hatten Sie ihn damals schon als Romananfang im Auge?

Es gab bereits eine kleine Sammlung von Skizzen und Anekdoten, von denen ich wusste, dass sie zu diesem Roman führen sollen. Die hatte ich, als mir der Gedanke kam, es wäre eigentlich ganz witzig, das in Klagenfurt zu probieren, also habe ich den Beginn ein bisschen besser ausformuliert und eingereicht. Aber es war klar, dass das ein Roman wird.

Sie lebten damals in Hamburg. War es seltsam für Sie, als »Lokalmatadorin«, die gar nicht mehr viel Kärnten-Bezug hat, in Klagenfurt aufzutreten?

»Lokalmatadorin« hat die KLEINE ZEITUNG geschrieben. Ich habe das mit einem Schmunzeln zur Kenntnis genommen, aber es hat sich nicht seltsam angefühlt. Der größte Teil meiner Familie ist in Kärnten. Meine Eltern sind da, meine Geschwister haben zum Teil woanders studiert und sind dann wieder zurück nach Kärnten aufs Land. Also irgendwie fühle ich mich da schon auch zu Hause. Ich bin früh weggezogen, bin mit 14 ins Internat nach Baden bei Wien. Diese 14 Jahre aber waren prägend. Ich wusste, warum ich da weg will. Das kann ja auch eine Nähe herstellen.

Haben die Eltern das erlaubt – ein Internat so fern der Heimat?

Eigentlich wollte ich nach Wien, aber alles, was meine Eltern dort erlaubt hätten, wären sehr katholische Schulen gewesen. Einige habe ich mir angeschaut, aber als ich die Nonnen sah, bekam ich gleich ein bisschen Herzflattern und dachte, das wird nichts, das passt nicht. Baden war dann okay. Bei Internaten haben sie sich nicht wirklich Sorgen gemacht. Ich hatte eh viele Konflikte, vor allem mit meiner Mutter, die war ganz froh, dass ich nicht mehr sie ärgere, sondern irgendwelche Erzieherinnen.

Aber nach der Schule ging es nach Wien?

Schon vorher. Mit 17 hatte ich schon meine erste WG in Wien. Danach bin ich nach Baden gependelt, um die Schule abzuschließen. Dann hab ich noch ein Jahr Philosophie in Wien studiert und bin dann mit 19 nach Berlin.

2019 in Klagenfurt gewannen Sie den Kelag-Preis. Was ist dann passiert?

Ich hatte ja keine Bekannten, die schon mal in Klagenfurt gelesen haben. Was das auslösen kann, war mir relativ unbekannt. Daher bin ich komplett angstfrei hingefahren. Und dann gab es da plötzlich Aufmerksamkeit. Ich habe praktisch alle Stipendien bekommen, auf die ich mich beworben hatte. Natürlich schreibe ich das dem Klagenfurt-Erlebnis zu. Es gab mir die Möglichkeit, zwischendurch immer wieder mal wirklich Zeit zum Schreiben zu haben.

Warum erscheint der Roman dann knapp fünf Jahre später?

Weil ich eher langsam schreibe. Ich kann schon einen Monat manisch am Schreibtisch sitzen, aber danach ist gut. Dann muss ich Abstand gewinnen und leg es wirklich zur Seite und mach was anderes. Kurz vor der Pandemie bin ich von Hamburg wieder nach Berlin gezogen. In der Coronazeit war Berlin relativ ausgestorben und leise, das fand ich ganz gut, andererseits hat es aber auch viel an Unsicherheiten produziert, daher war das sicher nicht meine produktivste Phase. Manchmal war ich mit meiner Lektorin spazieren. Aber dank dem Goethe-Institut auch in Kigali.

Sie haben in Ruanda über Kärnten geschrieben?

Das war eine wundervolle Erfahrung, sehr interessant, sehr viele liebe Leute kennengelernt.

Der Roman ist eher schmal. Gerade haben Sie von manischen Schreibphasen gesprochen. Entsteht in solchen Phasen ganz viel Text, der wieder gestrichen wird?

Ja. Wenn man das Buch liest, kriegt man das auch mit – das hat ein Tempo, ist sehr rasant, und genauso ist es im Schreibprozess. In der Regel sitze ich um acht Uhr dreißig schon am Schreibtisch, und dann muss das auch mit einem gewissen Tempo raus und wird dann – wie Sie sagen – großteils wieder gestrichen. Ich denke, ich habe zwei Bücher gestrichen und eines geschrieben.

Der Anfang Ihres Romans deckt sich mit dem Bachmann-Text. Der trug ursprünglich den Titel »Unweit vom Schakaltal«, sein erster Satz ist weiterhin der erste Satz, nun aber auch der Titel: »Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht«. Das ist, nun ja, ein sehr langer Titel. Wie kam es dazu?

Es ist ein Wagnis, ja. Die Leute werden sagen: »Hast du das Buch schon gelesen, das mit dem langen Titel, das pinke?« »Schakaltal« war mir zu sagenhaft, zu märchenhaft, deswegen habe ich nach einem anderen Titel gesucht, und ich finde, »Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht« erzählt schon sehr viel. Über eine Gegend, die zubeißt und irgendwie gefährlich ist, mit steilen Hängen und Furchen und Gräben und so.

Dafür hat das Kind auf dem Foto eine Zahnlücke.

Stimmt, Das ist mir gar nicht aufgefallen. Das gefällt mir. Bei den Karawanken war natürlich die Frage, na gut bundesdeutsche Lesende werden vielleicht nicht wissen, was die Karawanken sind. Ich dachte, um ehrlich zu sein, das wird mir der Verlag nicht durchgehen lassen mit diesem langen Titel, aber die waren einstimmig sofort begeistert.

Hat der Verlag im Gegenzug die vielen Erklärungen Kärntner Ausdrücke eingefordert?

Das habe ich so geschrieben. Meine Freundinnen und Freunde sind nun mal Deutsche. Ich wusste, die verstehen sonst nichts.

Gleichzeitig lieben Deutsche das österreichische Idiom, können es aber weder einordnen noch nachahmen.

Ja, bei mir hat man oft Holland und Schweiz gesagt in Deutschland.

Über Tonio Schachingers »Echtzeitalter« (Deutscher Buchpreis 2023) hat ein Rezensent im deutschen Fernsehen gesagt, es sei offensichtlich Satire, denn solche Lehrer wie im Buch gebe es längst nicht mehr. In Wahrheit hat die Figur des autoritären Klassenvorstands ein sehr konkretes Vorbild. Für wie überspitzt, glauben Sie, wird die (deutsche) Literaturwelt Ihr faschismusdurchsetztes Kärnten halten?

Wenn Bundesdeutsche Ausschnitte gelesen haben, waren sie immer entsetzt und konnten nicht glauben, was sie lasen, während die Österreicherinnen und Österreicher immer gelacht und gesagt haben: »Eigentlich ist es noch ärger.« Diese Erfahrung mache ich etwa, wenn im Buch der Gemeindebürgermeister Gernot Pfandl auf dem Parteitag seine Rede hält. Die ist stark angelehnt an eine Rede von Jörg Haider in den Neunzigern, das mit der Bevölkerung, die es halten soll wie die deutsche Frau, »die den Lurch einsaugt«. Eine andere Ansage, über den »Normalbürger«, stammt aus einer FPÖ-Rede von Haimbuchner, die vor ein paar Jahren stattgefunden hat. Und das Vokabular ist ja zum Teil noch viel schlimmer, wenn man sich den aktuellen FPÖ-Chef Kickl anhört. Der versucht ja gar nicht mehr, irgendetwas elegant »umzuformulieren«. Das kann man sich in Deutschland gar nicht richtig vorstellen. Klar gibt es in der AfD einige Leute, die auch so unverblümt sprechen, aber an der Spitze versucht man irgendwie den Schein einer salonfähigen Mitte-Rechts-Partei zu wahren.

Die, die ausscheren, werden sogar teilweise von der eigenen Partei zurückgepfiffen.

Genau. In der FPÖ wird keiner zurückgepfiffen, ganz im Gegenteil: Udo Landbauer musste sich einmal kurz zurückhalten, und jetzt ist er in der niederösterreichischen Landesregierung.

Ihre Erzählerin ist elf, die Erzählsprache sehr reif, der Wortschatz reich, der Blick in die Welt gleichzeitig kindlich naiv. Ich musste immer wieder an Oskar Matzerath aus der »Blechtrommel« denken, ein erwachsenes Kind.

Ich wollte, dass eine Erwachsene ihr eigenes kindliches Ich beim Erzählen erfindet. Sie erinnert sich und erfindet dabei ein Kind. Dadurch sind diese naiveren Passagen möglich, aber auch eine andere Sprachlichkeit, wenn eine eingefärbte Beobachtung der Erwachsenen durchschimmert.

Dadurch, dass es eine imaginierte Erinnerung ist, geht es sich wahrscheinlich auch ganz knapp aus, dass die Kinder den Film »True Romance« auf VHS anschauen?

Gut beobachtet! Ich bin mal gespannt, wie viele Leute mir da noch auf die Schliche kommen. Tatsächlich geht es sich aus, aber nur, weil ich das Alter des Mädchens von zehn auf elf hinaufkorrigiert habe. Das Lektorat hat hier einen genauen Faktencheck vorgenommen.

Waren Ihnen diese Faktenchecks trotz der unzuverlässigen Erzählerin wichtig?

Bestimmte Dinge sind wichtig. Gerade in der Passage über den Film hat es auch keinen Sinn, die Erzählerin fabulieren zu lassen.

Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass die zahlreichen Jahreszahlen im Buch alle ausgeschrieben sind, also: »neunzehnhundertneunundachtzig«. Liegt es daran, dass eine Person ihre Erinnerungen erzählt?

Mir kommt es sinnlicher vor. Zahlen sind so trocken.

Themenwechsel: Sie haben an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg studiert und an diversen Theatern als Regieassistentin und Regisseurin gearbeitet. Aktuell überschreiben Sie Shakespeares Römerstücke für das Wiener Volkstheater. Wie sind Sie zum Theater gekommen?

Eigentlich wollte ich Schriftstellerin werden. Schon immer. Ich kam aber nie auf die Idee, dass es möglich ist, den klassischen Weg zu gehen, also erst einmal in Zeitschriften Kurzgeschichten zu publizieren, bis es dann irgendwann eine längere Prosa wird. Und da ich als Jugendliche schon viel ins Theater ging, hatte ich irgendwann die Idee, ich könnte ja Theater machen. Auf diesem Wege, dachte ich, kann ich eigene Texte produzieren, wie zum Beispiel René Pollesch das macht. Dann hat mich ein Freund für die Regie-Aufnahmeprüfung an der Akademie angemeldet, und ich wurde aufgenommen.

Wie funktioniert diese Aufnahmeprüfung? Was mussten Sie machen?

Schillers »Kabale und Liebe« war unser Stoff. Man musste dazu schriftlich ein kleines Regiekonzept abgeben, ein Motivationsschreiben und ein kleines Video zum Thema »Kunst darf nicht alles, macht es aber trotzdem«. Das hat man eingereicht, und dann wurde man eingeladen und musste dann showinszenieren. Das Schauspielensemble war schon vorhanden, und diese Neulinge dienten uns als Versuchskaninchen. Das erste Jahr habe ich mit den Schauspieler:innen mitgemacht.

Das heißt, Sie haben auch Schauspiel gelernt?

Im ersten Jahr mussten wir alle Schauspiel machen. Ende des ersten Jahres durften wir unsere erste kleine Regie machen. Und da hab ich Luk Perceval kennengelernt. Er war unser leitender Dozent. Ganz zufrieden war ich aber nicht mit dem, was ich da gelernt habe, daher kam dann hier in Wien bei Monica Bonvicini ein Studium der Bildhauerei dazu. Gleichzeitig habe ich aber gemerkt: Noch ein Studium geht nicht. Deswegen assistierte ich bald am Landestheater Niederösterreich bei Bettina Hering und war sehr wenig auf der Bildenden anwesend. Ich brach das Studium schließlich ab und ging nach Hamburg ans Thalia Theater, um dort Regieassistentin zu werden – wieder bei Luk Perceval. Mit seinen Stücken bin ich sehr viel herumgereist, habe sehr viel gelernt und eine gute Zeit gehabt.

Eigene Regiearbeiten gab es auch.

Ja, am Thalia in Hamburg und am Landestheater in Niederösterreich. Dabei habe ich aber gemerkt, dass ich mich nicht durchsetzen kann. Ich sage zum Ensemble zu oft: »Na ja, okay, dann machen wir es so, wie ihr wollt.« Das fliegt mir um die Ohren. Ich bin nicht gemacht dafür.

Das Gegenteil des Regiezampanos.

Alle sollen einander gern haben, alle sollen sich wohl fühlen. Genauso funktioniert das aber nicht. Erst kürzlich habe ich mit einer Choreografin gesprochen. Wir sind uns einig, dass es ganz gut ist, den Raum abzustecken, in dem sich Schauspielerinnen, Schauspieler bewegen können und dabei auch mit einer gewissen Strenge vorzugehen, weil man dann tatsächlich frei werden kann in dem, was man auf der Bühne macht. Wenn von Anfang an alles möglich ist, fangt man an zu schwimmen. Sie nehmen es einem übel, die Schauspieler und Schauspielerinnen, wenn man da so sehr streng ist, aber am Ende sind sie dankbar, weil es ihnen die Möglichkeit gibt, etwas zu überwinden und wo hinzukommen. Und das konnte ich nicht.

Das heißt, Regie ist jetzt passé?  

Vielleicht bin ich irgendwann so weit, aber da ich in vielen Dingen bisschen spät dran und auch ein bisschen kindisch bin, dauert es womöglich noch zehn, fünfzehn Jahre.

Und dann vielleicht wirklich eigene Texte – wie Pollesch?

Etwas, das man miteinander mit dem Ensemble gemeinsam entwickelt, genau. Damit ich mir dieses Wilde beibehalten kann. Das ist durchaus denkbar. Ich habe eine große Liebe zum Theater und finde, es ist ein sinnvoller Ort, ein wichtiger Ort. Aber ich muss auch über mich schmunzeln, über meine kläglichen Versuche, Theater zu machen.

Im Moment machen Sie aber wieder Theater, mit Luk Perceval und als Schriftstellerin. Ist das die absolute Kulmination Ihres beruflichen Daseins?

Es ist wirklich aufregend – und anstrengend. Natürlich passieren bestimmte Dinge bewusster als bei Autorinnen und Autoren, die keine Regie- oder Schauspielerfahrungen gemacht haben. Vielleicht kann ich ein bisschen mehr aus einer Innenperspektive schreiben. Außerdem ist es natürlich schön, wieder mit Luk Perceval zu arbeiten, ihn kenne ich einfach sehr gut. Ich weiß, wie er arbeitet. Was es wird.

Wie läuft die Arbeit ab?

Wir hatten Proben von Februar bis Mitte April 2023. Da saßen wir mit der Hälfte des Ensembles zusammen und sprachen über die Rom-Texte von Shakespeare. Wir haben gelesen, gestrichen, uns über die Inhalte ausgetauscht, ich habe Fremdliteratur mitgebracht. Dabei entstand eine Collage, ein Fahrplan eigentlich. Nach dieser Probenphase habe ich mich ans Schreiben gemacht, zum Teil Shakespeare neu übersetzt, Dinge abgeändert, Sachen neu geschrieben oder übertragen, Szenen umgestellt. Dann hatten wir Mitte Oktober mit dem ganzen Ensemble nochmal eine Lesung des Arbeitsstands. Zwei Tage lang wurde wieder diskutiert: Was fehlt? Was ist gut? Was funktioniert nicht? Seitdem arbeite ich mit Luk gemeinsam online in einem Word-Dokument, er gibt mir in unregelmäßigen Abständen Feedback.

Geprobt wird dann, während Sie mit dem pinken Buch auf Lesereise sind?

Da wird sich auch noch viel tun – Luk und das Ensemble haben freie Hand. Außerdem werde ja nicht nur auf Lesereise sein, sondern auch in Wien. Da schaue ich dann natürlich auf den Proben vorbei und unterstützte, schreibe nochmal um oder etwas neu, falls nötig. Theater braucht meiner Ansicht nach keine starren Vereinbarungen der Werktreue. Theater muss lebendig und wild und mutig und respektlos im Arbeiten sein. Respektlos im Sinne von: Nichts ist heilig gegenüber dem Stoff.

Dennoch wird »Rom« Ihr zweiter veröffentlicher literarischer Text. Wird man Ihren Stil wiedererkennen?

Sicherlich. Vor allem aber wird man sehr unterschiedliche Stile hören. Der Text hat mehrere Sounds.

Die Premiere am 20. April 2024 ist für 18 Uhr angesetzt. Es wird also lang, nehme ich an?

Das hat mich auch überrascht. Die Tendenz geht ja weg von so langen Abenden, weil das Publikum sich seit Corona verändert hat. Die Menschen wollen nicht mehr fünf Stunden im Theater sitzen. Ich gehe von drei Stunden aus und denke mal, es wird eine Pause geben.

Gerade am Wiener Volkstheater neigt man gerade zu Längen von zweieinhalb Stunden ohne Pause. Was immer noch ziemlich lang ist.

Zweieinhalb ohne Pause ist auch mein Limit, muss ich sagen.

Wie geht es bei Ihnen weiter?

Ich schreibe am nächsten Roman, einer Fortschreibung des ersten. Da habe ich schon 80 Seiten. Es wird eine andere Erzählerinnenperspektive geben, die Ich-Erzählerin aus dem ersten Buch, die jetzt aber aus einer erwachsenen Position heraus erzählt – das Kind ist raus. Die Familie hat ihr bürgerliches neues Heim bezogen, und das Kind kommt aufs Gymnasium. Ich hoffe, dass ich nicht wieder fünf Jahre brauche.

Und im Bereich des Theaters?

Da würde mich als nächstes eher was Zeitgenössischeres interessieren. Vielleicht eine Textfläche. Ich bin recht offen. Mir ist schnell langweilig. Ich mag gern unterschiedliche Dinge. Am liebsten Sachen, die ich noch nicht gemacht habe. Das hält mich wach.

Ihre Protagonistin schwärmt von Kletznudeln. Mögen Sie die selbst auch besonders gern?

Ja, als Kind wollte ich mich nur davon ernähren. Es hat sehr viel Anstrengung gekostet, mich davon abzuhalten.

Und heute?

Weniger. Kletznudeln sind sehr süß, und Süßes als Hauptspeise ist nicht so mein Fall. Aber wenn ich dann in Kärnten bin bei meinen Eltern, so als Nachtisch, dann freue ich mich sehr darüber.


Julia Jost, geboren 1982 in Kärnten/Österreich arbeitete nach ihrem Studium der Philosophie, Bildhauerei und Theaterregie als Regisseurin und Dramaturgin, u. a. am Thalia Theater Hamburg. 2019 gewann ein Auszug aus ihrem vorliegenden Debütroman beim Bachmann-Wettbewerb den Kelag-Preis, im Frühjahr feiert ihr Stück »Rom« am Wiener Volkstheater Premiere. Jost lebt in Wien und Berlin.

Julia Jost
Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht
Suhrkamp, 231 S.