Aktualität ist Walter Kappacher ziemlich egal. Es geht ihm um existentielle Fragen und um das Schreiben. Damit findet er Anklang. So auch mit seinem neuen Buch. Einige Fragen dazu sowie über das Scheitern und über das Fotografieren. Foto: Walter Kappacher.
Aus: Buchkultur 124, Juni/Juli 2009.
Walter Kappacher spricht nicht so gerne über seine Bücher. Er ist insgesamt eher zurückhaltend, doch wenn es um seine Arbeit geht, ist er ungemein konsequent. Im jüngsten Roman von Walter Kappacher steht im Mittelpunkt ein alternder Schriftsteller. Schlicht H. mit Namen. Unschwer ist darin Hofmannsthal zu erkennen, obwohl es sich nicht um einen Künstlerroman handelt, sondern vielmehr geht es um die Themen des Alterns, des Scheiterns, der Einsamkeit, um ein Gefühl, das man vergessen und verlassen ist von der Welt. Kappacher begleitet seine Figur sehr einfühlsam und mit einer gewissen stillen, doch aufmerksamen Ironie und einer melancholisch angehauchten Komik. Die historische Figur ist nur ein Anhaltspunkt, da sowieso kaum etwas über Hofmannsthal in dieser Zeit bekannt ist. Interessant war für Kappacher, wie ein Mensch, der schon früh zum Literaturstar wurde, mit einer Schaffens- und Lebenskrise umgehen oder eben nicht umgehen kann. H. verbringt also in einem damals mondänen Kurort einige Tage, um sich zu orientieren. Oder es zumindest zu versuchen.
Buchkultur: Mit Hofmannsthal haben Sie sich ja schon früher beschäftigt?
Walter Kappacher: Ich habe Hofmannsthal bereits in meiner Jugend sehr gerne gelesen, mit großen Abständen natürlich. Aber ein gewisser Hofmannsthal-Fundus war vorhanden. Deshalb war keine Recherche nötig. Ich habe nur einige seiner Briefwechsel wiedergelesen.
Aber der H., den Sie schildern, ist eine reine Kunstfigur?
Ich habe mir seine Welt ausgemalt, es gibt ja keine Tagebuchaufzeichnungen wie bei Thomas Mann. Dann würde es mich aber auch nicht reizen. Es waren also diese zwölf Tage im August 1924, über die man eigentlich nichts weiß. Das war meine Herausforderung.
Bei Hofmannsthal denkt man auch an Sprachskepsis. Sie hingegen vertrauen der Sprache?
Ich weiß nicht, ob sie mir vertraut. Es ist ein ewiges Versuchen. Das Scheitern ist immer ganz nahe.
In gewisser Weise ist die Figur H. wie auch in anderen Büchern von Ihnen eine, die an einem Scheideweg steht und sich neu orientieren muss oder will. Hier wird zwar keine Entscheidung getroffen, doch hat man das Gefühl, da wünscht jemand einen Neuanfang. Ist diese Orientierungsphase ein wichtiges Element für Sie?
Dieses Nichtwissen darüber, wie es weiter geht, war in meinem Leben immer der Fall. Dadurch erklären sich auch die verschiedenen Berufe in meinem Leben. Sobald ich etwas wirklich konnte, verlor ich das Interesse daran. Ich brauchte eine neue Herausforderung. Ich habe dann meist nicht gewusst, wie es weitergehen soll, und habe immer wieder etwas Neues versucht. Doch beim Schreiben bin ich dann geblieben. Da habe ich nie das Gefühl, das kann ich jetzt. Da weiß ich genau, das werde ich nie können.
Ist das nicht ein wenig Koketterie? Sie werden geschätzt, gelesen. Sie gelten zwar als jemand, der sich nicht um den Literaturbetrieb kümmert, aber trotzdem gibt es eine breite Zustimmung und Anerkennung.
Sie wissen doch ganz genau, dass das nichts bedeutet. Das einzige, was zählte, wäre, wenn ich von mir fünfzig Seiten lesen würde und Satz für Satz sagen könnte, so soll es sein. So habe ich es mir gewünscht. Jetzt habe ich es erreicht. Fünfzig Seiten, die meinen Ansprüchen genügen. Dann könnte ich sagen, jetzt kann ich es bleiben lassen. Aber davon bin ich weit entfernt.
»Dieses Nichtwissen darüber, wie es weiter geht, war in meinem Leben immer der Fall. Dadurch erklären sich auch die verschiedenen Berufe in meinem Leben.«
Es reizt Sie jedoch immer wieder aufs Neue?
Sicher habe ich die Hoffnung, dass es einmal klappt.
Sie fotografieren auch. Aber nur ein bestimmtes Motiv in einer Bucht im Mattsee. Wie haben Sie damit begonnen?
Es ist immer der gleiche Uferabschnitt im Umkreis von 150 Metern. Da spielt sich alles ab. Hauptsächlich im Spätherbst und im Winter. Im Sommer ist gar nichts, da gibt es nur üppig sprießendes Schilf, aber das ist für mich kein Motiv.
Was reizt sie an diesen Jahreszeiten?
Ich habe es »die Schönheit des Vergehens« genannt. Das Schilf stirbt ab, biegt sich, kräuselt sich. Dann kommt das Eis, biegt das Schilf nieder. Es ist nicht mehr zu sehen. Irgendwann im späten Winter oder im kommenden Frühjahr schmilzt das Eis, und irgendwann kommt dann ein Sturm und zerbricht das Eis und schwemmt die Trümmer ans Ufer. Das ist meine Zeit, dieses zertrümmerte Eis in Verbindung mit dem teilweise hochkommenden Schilf.
Sie fotografieren schon seit einigen Jahren, nicht wahr?
Eigentlich erst seit 2005. Ich bin mit meiner Frau zu unserem Spazierweg gefahren und schaue aus dem Fenster hinaus und sehe eine wunderschöne Linie quer über den See. Es war noch Eis am See, obwohl schon März war. Es war der Anfang des Eisbruchs. Ich bin dann am nächsten Tag auf die andere Seite des Sees gefahren und da war wieder eine wunderschöne Linie zu sehen. Da habe ich zum ersten Mal bewusst das Schilf wahrgenommen und es hat mich gepackt. Wieder am nächsten Tag nahm ich den Fotoapparat mit und habe diesen Eisbruch, diese schöne Linie fotografiert.
Einige Jahre fotografieren Sie nun schon diese Stelle, das Projekt ist für Sie aber noch nicht abgeschlossen?
Jetzt ist es für mich zu Ende, doch im nächsten Winter beginnt es erneut. Ich bin vielleicht nicht mehr so versessen und etwas sparsamer geworden beim Fotografieren. Im Grunde könnte ich damit aufhören.
Wie Sie mit Vielem aufgehört haben, um Neues zu beginnen?
Schon als Motorradmechaniker ließ man mich im zweiten Lehrjahr Motoren zusammenbauen. Da habe ich es bereits gekonnt, aber ich brauchte halt den Abschluss. Mit nur Volks- und Hauptschule kommt man nicht weit. Dann war ich am Theater, undda dachte ich mir, das möchte ich eigentlich. Zuerst ist es mir völlig unmöglich erschienen. Ich war schon 19, also relativ alt für die Schauspielschule.
Auf ihrer Homepage steht, nach 1978 hätten Sie den Versuch gewagt, freier Schriftsteller zu werden. Das ist auch eine mutige Entscheidung.
Damals hatte ich einige Drehbuchaufträge gemeinsam mit einem Regisseur vom ORF und ich dachte mir, versuche es doch einmal als freier Schriftsteller. Hinzu kam, dass das Reisebüro bei dem ich vorher arbeitete, schloss und ich mir sowieso etwas Neues suchen musste. Es ging irgendwie. Reichtümer habe ich mir keine erworben, aber es ging sich gerade aus.
Damit haben Sie also etwas gefunden, mit dem Sie noch nicht fertig sind.
Da habe ich etwas gefunden, an dem ich mir die Zähne ausbeiße.
Sie schreiben nur vormittags, habe ich gelesen.
Am Nachmittag bin ich zu nichts zu gebrauchen. Ich mache dann lange Spaziergänge. Ich brauche für alles furchtbar lange. Ich habe nicht das geringste journalistische Talent. Ich könnte niemals sofort auf das, was ich gestern erlebt habe, sprachlich reagieren. Im Grund kommt alles aus einem Fundus aus meiner Jugend, so auch die Begeisterung für bestimmte Dinge. Ich habe auch bei diesem Buch mein Unterbewusstsein gebeten, etwas herauszurücken, und manchmal ist es geschehen und manchmal nicht.
Walter Kappacher, geboren 1938 in Salzburg, lernte zuerst Motorradmechaniker, besuchte später eine Schauspielschule und begann seine ersten Texte zu veröffentlichen. Bevor er sich entschloss, als freier Schriftsteller zu leben, arbeitete er als Reisebürokaufmann. Er erhielt diverse Auszeichnungen, wie den Rauriser Literarpreis oder den Hermann-Lenz-Preis (2009 wurde Kappacher schließlich mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet, Anm. d. Red.). Heute beschäftigt er sich auch mit der Fotografie. Seine Bilder wurden im Literaturhaus Salzburg und während der diesjährigen Literaturtage in Rauris ausgestellt, wo auch dieses Gespräch stattgefunden hat.
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Walter Kappacher
Der Fliegenpalast
Residenz, 172 S.