Der belgische Autor will eigentlich »Die Schachnovelle« übersetzen und entdeckt darüber Sigmund Freud.


Vor kurzem war an dieser Stelle zu lesen, wie eine Autorin unserer Tage ein Werk der Weltliteratur neu übersetzt hat: die Französin Cécile Wajsbrot schrieb in »Nevermore« über ihre Arbeit an dem Buch »Zum Leuchtturm« von Virginia Woolf und wurde dafür von der Darmstädter Jury ausgezeichnet.

Nun ist von einem ähnlichen Fall zu berichten: Der belgische Autor Jean-Philippe Toussaint wurde vom Lockdown überrascht und nützte die Zeit, um einen neuen Roman zu schreiben. Er nannte ihn »L’echiquier«, also »Das Schachbrett«, und hatte darin Folgendes vor: Zuerst einmal »Die Schachnovelle« von Stefan Zweig zu übersetzen, dann einen eher allgemein gehaltenen Essay über die Übersetzung zu schreiben und dann noch: »eine Art Logbuch … über das Schreiben selbst, Glosse oder Spaziergang, Exegese und Sammlung, das mich auf dem ganzen Weg begleiten wird.« Bei Wajsbrot bildete das Übersetzen den roten Faden ihres Buches, sie stellt sich ganz und gar in den Dienst der Sache, genehmigt sich schon auch ab und zu ausufernde Assoziationen zu ihrem Schreiben. Bei Toussaint ist das ganz anders. Von Anfang an kann die Leserin, der Leser erkennen, dass es dem Mann eigentlich nur um sich selbst geht. (So nennt er seine Übersetzung der Schachnovelle nicht – wie bis dato im Französischen üblich – »Le Joueur d’échecs«, also »Der Schachspieler«, sondern »Échecs«, also Schach. Toussaints erstes, allerdings nicht veröffentlichtes Buch hatte genau diesen Titel.) Recht bald stellt er als bemerkenswert hin, »dass das Buch, das ich im Begriff bin zu schreiben, unter meiner Hand einen autobiographischen Charakter annehmen wird.« (Kurz davor lässt er einen eineinhalb Seiten lang wissen, wie es ist, in die Badewanne zu steigen. »Das Badezimmer« heißt übrigens das Buch, mit dem er 1985 berühmt wurde.)

Den Plan, einen Essay über das Übersetzen zu schreiben, lässt er bald fallen, berichtet anfänglich noch über seine Schwierigkeiten mit der »Schachnovelle« und zwar, dass er »so gut wie nichts begreift«, und sich fragt, »ob er seine Fähigkeiten nicht überschätze.« Letztlich stellt er fest, dass er als Übersetzer »weitaus besser im Schach als im Deutschen« ist, verbessert auch einige Schach-Details im Werk von Zweig, und vergisst im Laufe des Buches mehr und mehr das eigentliche Thema, nämlich die Übersetzung der Schachnovelle, um sich immer mehr auf sein Leben zu konzentrieren: wie er das wurde, was er jetzt ist, welche Rolle das Schachspiel bei seiner schriftstellerischen Berufung gespielt hat. Letztlich stellt er die Hypothese auf, dass er schreibe, um etwas ans Licht zu bringen. Es geht also in diesem Buch nicht so sehr um Stefan Zweig, sondern viel mehr um Sigmund Freud: »Mein Vater hat mir auf symbolische Weise verboten, ihn beim Schach zu schlagen, aber er hat mir still schweigend die Erlaubnis erteilt, Schriftsteller zu werden.«

Joachim Unseld, der Toussaint von dessen Anfängen an ins Deutsche übersetzt, konnte seinen Vorteil, die Schachnovelle im deutschen Original zu kennen, nicht wirklich ausspielen, weil einfach viel zu selten davon die Rede ist.

Jean-Philippe Toussaint
Das Schachbrett
Ü: Joachim Unseld
Frankfurter Verlagsanstalt, 256 S.