Florence Hazrat widmet dem Zeichen eine exklamatorische, kundige Monografie. Bild: Ausschnitt LP-Cover »it’s time!« von Jackie McLean


Wie viel ist eigentlich zu viel?!! Ab welcher Anzahl reagiert man auf Ausrufezeichen allergisch?!? Wohl wenn im Betreff eines E-Mails kaum Worte, dafür hysterisch viele (!!!) Langstriche mit einem Punkt am unteren Ende stehen.

Ein Hoch (!) auf den Londoner Verlag Profile Books, die promovierte Hochschul-Literaturdozentin Florence Hazrat ein Buch über das Ausrufezeichen schreiben zu lassen! 2019 publizierte Cecelia Watson ein Buch über den Strichpunkt. Bei beiden Ideen hätten deutsche Verlagslektor/innen die Hände überm Kopf zusammengeschlagen!! Schön, dass es nun gut übersetzt auf Deutsch vorliegt.
Das Ausrufezeichen ist so etwas wie der Laut-Sprecher der Interpunktion. Hazrat tituliert es als »Lärmstange, Macho und Brüller«. Ständig kommt es extravagant daher, weil es ausdauernd signalisiert: Hier! Steht! Wichtiges! Hier geht es um Hochloderndes, seien es Breaking News oder, wie Hazrat schreibt, Gefühle! Gefühle!!

Sie machte schöne Funde. Etwa das Cover der LP »it’s time!« des Jazzsaxofonisten Jackie McLean, bei dem der Designer auf das Endzeichen drei Punkte und dann weitere Ausrufezeichen folgen ließ. 2010 brachten die Punker von Bomb the Music Industry! das Album mit dem nicht wirklich bescheidenen Titel »Adults!!!: Smart!!! Shithammered!!! and Excited by Nothing!!!!!!!« heraus, angesichts sieben Ausrufezeichen schwer zu übertreffen. Hazrat zitiert Faulkner, Cormac McCarthy, Fitzgerald oder Terry Pratchett, die letzten drei Verächter dieses Interpunktionszeichens, das freudianisch Geschulten phallisch vorkommen will, Brettspiele und TV-Serien.

Sie verweist auf geographisch Stupendes, Inseln, die Ausrufezeichenform haben, und erzählt von der »Erfindung« dieses Interpunktionszeichens Mitte des 14. Jahrhunderts in einem Kloster durch den Mönch, Gelehrten und Dichter – damals kein Widerspruch! – Jacobus Alpoleius de Urbisaglia. Er führte das exklamatorische Satzzeichen ein, um das Exklamatorische, also Laute, und »admirative Sätze«, ergo Bewunderung, hervorgebracht im Brustton der Verehrung, zu betonen. Alpoleius kombinierte einen Punkt, über dem ein Komma oder ein Apostroph schwebte. Im Lauf der Zeiten, mit einer Streitschrift eines Florentiner Humanisten und Schriftstellers, Anwalts und Politikers (!) anno 1399, wurde es gerade gestreckt und schien fürderhin so in den Setzkästen der Drucker auf. Es war eine der grammatikalischen Inventionen der zwei Jahrhunderte ab 1400, in denen emotional aufgeladene Zeichen sich in die geschriebene, dann gedruckte Sprache einschlichen.

Daran anschließend verfolgt Hazrat Spuren und Indizien dieses so bestimmt wie bestimmend auftretenden Verstärkungszeichens. Sie sieht sich die Shakespeare-Folio-Ausgabe an, in die, so der Regisseur Peter Brook, die Setzer noch zusätzliche Satzzeichen eingeschmuggelt hätten, darunter auch Ausrufezeichen. 1785 nannte der Autor Joseph Robertson es lyrisch »die Stimme der Natur, wenn sie sich aufgewühlt, erstaunt und bewegt zeigt«. Ab Englands trockenem 19. Jahrhundert begann das Ausrufezeichen zu verdorren. Auf einer englischen Schreibmaschine war laut Hazrat anno 1973 noch keine eigene Taste vorhanden. Der Aufschwung der letzten 50 Jahre – korrespondierte er mit Werbung und enthemmter Suggestion in einer Ökonomie der Aufmerksamkeit, für die das Ausrufezeichen wie geschaffen erscheint?!?
Eine wundersam (!) bis wunderherrlich (!) abseitige, angeregte Promenade von Poesie, Popkultur bis Politik und Alltag durch die gewundene Historie des visuell so starren Ausrufezeichens. Im hohen Maße lesenswert!

Florence Hazrat
Das Ausrufezeichen. Eine rebellische Geschichte
Ü: Stephan Pauli
HarperCollins, 224 S.