Wie gewinnt man Wahlen? Ein einst erfolgreicher Manipulator weiß darauf plötzlich nicht mehr die Antwort und stürzt in die Sinnkrise.
aus: Bücherbrief März 2024
Für Frank Fischbach, Wahlkampfmanager moderner Schule, ist die Lüge, für die es ja auch einer gewissen Kreativität bedarf, ein antiquiertes politisches Instrument: Je substanzloser und weniger konkret die Botschaften, desto größer der Wahlerfolg. In Wirklichkeit werden Wahlen nämlich vor und hinter dem Display gewonnen: »Jede Gefühlsregung der Wähler aufzuzeichnen und nichts Zufällen oder Überzeugungen zu überlassen, war der einzige Weg. Frank vertraute ausschließlich hohen Rechnerkapazitäten. Der direkte Kontakt mittels automatisierter Software, die jeden Wähler mit Vornamen ansprach, und Selfie-Stunden nach jedem Wahlkampfauftritt waren entscheidend.«
Mit dieser Methode hat Fischbach Kanzler Bao Strauss in Österreich zum unantastbaren Seriensieger gemacht – am Romananfang gerade zum dritten Mal. Auf den rauschenden Wahlabend folgt aber die Ernüchterung: Es stellt sich heraus, dass die heiligen Zahlen, auf die man seit Jahren baut, von Anfang an ein Mitarbeiter nur frisiert hat – und trotzdem eilt Strauss’ Sammlungsbewegung »Omnia« von einem Sieg zum nächsten.
Den gewieften Manipulator Fischbach stürzt das in eine Sinnkrise und er sich in eine Habilitation, wie und warum man Wahlen heute wirklich gewinnt. Dabei gerät er zwischen die Fronten zweier jahrzehntelang verfeindeter Akademiker. Statt die Antwort auf seine Forschungsfrage zu finden, kommt Fischbach daher viel schneller zur Einsicht: Im Wissenschaftsbetrieb täuschen und kämpfen die Menschen nicht viel anders und somit mit genauso harten Bandagen wie in der Politik. Der Weg zur Wahrheit führt ihn aber woanders lang.
Politromane leiden oft darunter, bloß stilistisch aufgehübschte Schauplätze von allgemein bekannten wie durchgesetzten Beobachtungen aus dritter Hand zu sein. Doch Autor Christian Moser-Sollmann kennt das Milieu, seit vielen Jahren arbeitet er selbst im Betrieb. Als Literat gelingt ihm hier eine anregende Meditation über moderne Machtspiele – verpackt in eine Mischung aus Polit-Satire, Entwicklungsroman und campus novel, bei der nebenbei auch so hübsch-böse Sätze wie »Die Liebe zum Verkauf war eine Gnade« abfallen.
—

Christian Moser-Sollmann
Noble Lügen
Milena, 270 S.