Victor Otto »VauO« Stomps, legendärer deutscher Kleinverleger zwischen 1926 und 1970, ist als Multitalent zu entdecken. Foto: Axel Dielmann Verlag.


Dass Lektoren dichten, ist rar. Früher nicht. Ein Beispiel? Der Lyriker Oskar Loerke. Dass Lektoren Rezensionen schreiben, kommt vor, an Romane wagen sie sich nicht. Zudem wurde einst – siehe Siegfried Unseld (Suhrkamp Verlag) – ausgreifend korrespondiert. Dass aber ein Verleger wie der lebenslange Kleinverleger Victor Otto Stomps (1897–1970) neben seiner Hauptarbeit in vier Jahrzehnten auch als Schriftsteller produktiv wie kreativ, lesenswert wie entdeckensreich ist, das zeigt nun die erste ausgreifende verdienstvolle Gesamtausgabe seiner literarischen Werke: zwei famose Romane, »Gelechter« von 1962 und »Babylonische Freiheit« (1964), Dramen, Essays, viele kluge Rezensionen, einige Porträts, hinreißende Fabeln sowie eine Fülle an leichtfüßigen poetischen wie satirischen und parodistischen Gedichten.

1926 gründete er die »Rabenpresse«, die ab 1935 in Berlin »Neue Rabenpresse« hieß, 1949 in Frankfurt am Main die »Eremitenpresse«. Sie betrieb er ab 1954 in Stierstadt nahe der Mainmetropole. Er gab jungen Autorinnen und Debütanten Chancen – heute zählen Christoph Meckel (sein Vater Eberhard hatte 1935 bei Stomps ein Buch herausgebracht), Ernst Meister, Gabriele Wohmann, Wolfgang Bächler und Cyrus Atabay, Christa Reinig, Detlev Meyer und Thomas Kling zur deutschen Literaturgeschichte. Aber auch Ernst Jandl publizierte dort (»die männer. ein film«); im selben Jahr 1973 erschienen Friederike Mayröckers Erstlingsgedichte von 1945 bis 1950 als »Blaue Erleuchtungen«. Das Besondere: Es waren alles bibliophile, eher schmale Bände, jeder mit Holzschnitten versehen, sorgsam von Stomps selber gedruckt, in stabile Broschur gebunden. In seinem Vorwort zu Werkband 1 zeichnet Christoph Meckel ein feines Porträt des literaturbesessenen und genussfreudigen Stomps, seiner Arbeitsweise, seiner Autorenfreunde.

Nach dem Verlagsverkauf 1967 zog Stomps nach West-Berlin. Meckel: »Man traf ihn gewöhnlich in einem Korbsessel an, er saß mit Blick zur Straße, überlegte Bücher und sprach von ihnen, aber er druckte nicht mehr.« Seine Parterrewohnung war »in Kreuzberg, in der Nähe eines Kanals mit Anlegestelle, er fuhr auf Ausflüglerschiffen durch Berlin bis in die südwestlichen Stadtteile und fühlte sich wohl.« Wann er die Zeit fand, so viel zu schreiben – ein Rätsel. Aber ein Glück für uns.

Beitrag zuerst erschienen in Buchkultur 193, Dezember 2020.

Victor Otto Stomps, „Victor Otto Stomps als Schriftsteller“ (Axel Dielmann Verlag), 4 Bände, 1688 S.