Anlässlich des 80. Geburtstags von Günter Wallraff, einem der rigorosesten Chronisten der bundesdeutschen Wirklichkeit, veröffentlichte der Reclam-Verlag ein Best-of seiner Texte.
Das altehrwürdige gelbe Reclam-Heft ist in der Regel längst verblichenen Klassikern vorbehalten: Nun lässt der Traditionsverlag aus Stuttgart diese Ehre aber einem Mann zuteilwerden, der noch unter uns weilt und am 1. Oktober seinen 80. Geburtstag feierte: Günter Wallraff, einer der ganz Großen der journalistischen Zunft in Deutschland.
»Im Einsatz für Aufklärung und Menschlichkeit« ist somit eine Werkschau von Wallraffs Anfängen bis heute. Der Meister der Undercover-Reportage wollte ursprünglich Schriftsteller werden – zu seinem Karrierebeginn als Chronist und Ankläger bundesdeutscher Zustände zwang ihn jedoch regelrecht das Militär: Trotz Kriegsdienstverweigerung von der Bundeswehr eingezogen, tat Wallraff dort seinen Pazifismus lautstark kund — was zahlreiche Repressalien nach sich zog. Das in dieser Zeit verfasste Tagebuch, später im Jugendmagazin »Twen« veröffentlicht, wurde sein erster publizistischer Erfolg. Mit Haut und Haar erlebt, unter vollem Körpereinsatz recherchiert — das sollte von da an Wallraffs Methode bleiben: Als »der Mann, der bei BILD Hans Esser war« ermittelte er monatelang verdeckt im Axel-Springer-Verlag und machte die fragwürdigen Methoden der größten Boulevard-Zeitung Europas erstmals einem breiten Publikum bekannt: Die Lieferwägen des Medienhauses verglich Wallraff mit »Mülltransportern, die für Industriekonzerne aggressive Schad- und Giftstoffe klammheimlich auf wilden Deponien kostensparend ablagern.« Springer versuchte seinen neuen Intimfeind über Jahre auf juristischem Weg zum Schweigen zu bringen: Ohne Erfolg. Die Abläufe in der BILD-Chefredaktion waren für Wallraff jedoch nur ein Beispiel der moralischen Verwahrlosung in den deutschen Führungsetagen. Deren Wohlstand wurde aus Wallraffs Sicht vor allem auf dem Rücken der Schwächsten der Gesellschaft erwirtschaftet: So prangerte er in seinem bis heute erfolgreichsten Buch »Ganz unten« die unmenschlichen Verhältnisse im Niedriglohnsektor an: Als türkischer Hilfsarbeiter Ali tauchte er ab in das würdelose Dasein von ausländischen Arbeitskräften auf der untersten Ebene des florierenden Wirtschaftsstandorts Deutschland: »Meine gespielte Torheit eröffnete mir Einblicke in die Borniertheit und Eiseskälte einer Gesellschaft, die sich für so gescheit, souverän, endgültig und gerecht hält. Sicher, ich war nicht wirklich ein Türke. Aber man muss sich verkleiden, um die Gesellschaft zu demaskieren, muss notfalls täuschen und sich verstellen, um die Wahrheit herauszufinden.« Seitdem hat sich zwar gesellschaftlich einiges getan, aber gut ist noch längst nicht alles, wie hier auch zu lesende neuere Texte Wallraffs über Callcenter-Knechte, anhaltenden Alltagsrassismus und Paketboten am Rande des Zusammenbruchs zeigen. Oder wie es im Nachwort Cem Özdemir, inzwischen als Bundesminister selbst Teil der deutschen Elite, schreibt: »Vieles hat sich geändert, auch verbessert, aber einen Grund, uns zufrieden zurückzulehnen, haben wir wirklich nicht.«
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Günter Wallraff
Im Einsatz für Aufklärung und Menschlichkeit. Existenzielle Erfahrungen und Ermittlungen
Reclam, 268 S.