Ein verstörendes Phänomen vorweg- bzw. wiederaufgenommen: »unerwünschte« Bücher.
»Tu nichts, womit du die Aufmerksamkeit auf dich ziehst.« Birds Vater, früher Linguist, bestückt jetzt in der Universitätsbibliothek Bücherregale. Es ist eine seltsame Zeit: Nach der Wirtschaftskrise hat eine nationalistische Bewegung mit dem Slogan, schuld daran sei China, die Macht übernommen. Die Repressalien treffen inzwischen alle asiatisch Aussehenden, um die »American Culture« zu bewahren, können die Behörden Kinder ihren Familien wegnehmen. Birds Mutter, Tochter von Einwanderern aus Hongkong, ist verschwunden – war sie wirklich die revolutionäre Dichterin, als die sie jetzt verfemt wird? Der Junge macht sich nach einer geheimnisvollen Nachricht auf die Suche. Sie führt ihn in ein Untergrundnetzwerk von Bibliotheken – eine Handvoll Menschen versucht, Informationen über die verschwundenen Kinder zu bekommen, sie auszutauschen, oder einfach zu sammeln. Noch können sie nichts tun, um sie zurückzubringen, solange dieses Regime an der Macht ist und sie so wenige sind.
Als unter der Trump-Regierung Migrantenfamilien an den Grenzen auseinandergerissen wurden, setzte sich Celeste Ng dafür ein, dass diese Unmenschlichkeit öffentlich debattiert wurde. Damit nahm auch der geplante Roman eine andere Richtung, wurde utopischer und stellt sich nun kraftvoll-poetisch neben »1984« und »Der Report der Magd«. Trotz aller Verstörtheit über die spürbaren gesellschaftlichen Verschiebungen glaubt die Autorin an Solidarität, die Kraft der Bücher. Auch wenn einige aus den Regalen verschwinden …
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Celeste Ng
Unsre verschwundenen Herzen
Ü: Brigitte Jakobeit
dtv, 400 S.