Elena Medel untersucht in »Die Wunder« die subversiven Kräfte der Unsichtbaren.
Madrid, im Jahr 2018: Als Alicia im Trubel des feministischen Protests auf den Straßen der spanischen Hauptstadt gefährlich stürzt, wird sie von María mit einer energischen Handbewegung gerettet. Nur für diesen einen kurzen Moment überschneiden sich die Wege der beiden unterschiedlichen Frauen, deren Lebensgeschichten stärker miteinander verwoben sind, als sie es ahnen könnten. Rund um diese zufällige Begegnung, die bestimmt das schönste der vielen kleinen Wunder in diesem Romandebüt ist, entfaltet Elena Medel behutsam die Persönlichkeiten ihrer Protagonistinnen vor dem Hintergrund der spanischen Zeitgeschichte der letzten fünfzig Jahre. Dass für die doppelt benachteiligten Frauen der Arbeiter/innenschicht kein Platz im gesellschaftlichen Gefüge vorgesehen ist, verarbeitet Medel in den allmählich bis zur Schmerzhaftigkeit gesteigerten Hauptmotiven des Schweigens und der Unsichtbarkeit. Stilistisch untermauert werden diese durch die alternierenden und somit den Lesefluss brüsk unterbrechenden Kapiteln, die sich mal der jüngeren, mal der älteren Frau annehmen und sich erst am Ende mosaikhaft zu einem Ganzen fügen. Während die Auswirkungen der alltäglich erlebten strukturellen Gewalt in Schilderungen von Mangel, Ohnmacht und Aussichtslosigkeit durchexerziert werden, könnte man beinahe übersehen, dass Alicia und María schon längst ihre Bewältigungsstrategien gefunden und sich, aus ihrer Verborgenheit heraus, Handlungsspielräume geschaffen haben. Elena Medels poetische Entwicklungsgeschichte liegt nun in anregender Übersetzung von Susanne Lange im Suhrkamp-Verlag vor.
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Elena Medel
Die Wunder
Ü: Susanne Lange
Suhrkamp, 250 S.