Blickt man aufmerksam in der Natur um sich, kann man viele wunderschöne Dinge entdecken – bunt schillernde Schmetterlinge, tirilierende Vögel, Säugetiere mit hochattraktiver Fellzeichnung, Amphibien mit eindrucksvoll ornamentierter Haut usw. Auch die Verhaltensweisen mancher Tiere, insbesondere Balzrituale, sind von einer staunenswerten Ästhetik. Man fragt sich, wie solche Schönheit im Tierreich entstehen konnte. Und warum?


Eine Antwort aus berufenem Munde kommt von Richard Prum, Ornithologe an der Yale University. Er beruft sich auf Charles Darwin, der vor eineinhalb Jahrhunderten mehrere Mechanismen formulierte, die die Evolution steuern: Zum einen gibt es den heute allgemein anerkannten Selektions-Mechanismus, demgemäß es ständig zu zufälligen Mutationen kommt und jene Individuen, die am besten an ihre Umgebung angepasst sind, einen Überlebens- bzw. Fortpflanzungsvorteil haben. Auf diese Weise entstehen neue Arten.

Zum anderen meinte Darwin aber auch, dass die individuelle Partnerwahl, insbesondere durch Weibchen, für die Evolution wichtig sei. Und dabei spielt Schönheit – also das, was von Artgenossen als ästhetisch empfunden wird – eine große Rolle. Diesem Mechanismus entspringt Darwin zufolge etwa ein prächtiges Federkleid von Vögeln, das für sich gesehen keinen Überlebensvorteil bringt. Diese Idee Darwins kam allerdings in der Wissenschaft in Verruf. Denn erstens setzt ästhetisches Empfinden eine subjektive Erfahrung voraus – und ein Ich-Bewusstsein wollten (und wollen) die meisten Biologen keinem Tier zugestehen; und falls doch, so ist diese nicht direkt beobachtbar. Und zweitens war es im viktorianischen England undenkbar, dass weibliche Präferenzen oder sogar sexuelle Wahlfreiheit von Weibchen eine entscheidende Rolle spielen sollten. Also wurde Darwins Theorie der geschlechtlichen Zuchtwahl von den Evolutionsbiologen abgelehnt, sie geriet in Vergessenheit.

Prum plädiert nun dafür, Darwins Hypothese ernst zu nehmen und die Schönheit als evolutionäre Kraft anzuerkennen. Und zwar auch für die Entwicklung von uns Menschen und unseres Sexualverhaltens! Auf mehr als 400 gedankensprühenden Seiten umkreist der Biologe die Konsequenzen dieser »ästhetischen Evolution« – nicht nur in Bezug auf körperliche Eigenschaften und angeborene Verhaltensweisen, sondern auch hinsichtlich der kulturellen Entwicklung und von Geschlechterrollen. Prum knüpft dabei explizit an heutige Gender-Debatten an und liefert bemerkenswerte Einsichten – bis hin zu einer biologischen Erklärung für den weiblichen Kampf nach Selbstbestimmung und das »Queer-Werden« des Menschen.

Solche Gedankengänge werden von Prums Fachkolleg/innen wohl nicht unwidersprochen bleiben …

Richard O. Prum
Die Evolution der Schönheit. Darwins vergessene Theorie zur Partnerwahl
Naturkunden bei Matthes & Seitz, 464 S.