Tanti auguri: Donna Leon wird am 28. September 80. Aus diesem Anlass erscheint bei Diogenes ihr »Leben in Geschichten«. Wir feiern mit!


Ihr Commissario Brunetti gehört zum Sommer wie das gute Essen zu Italien. Heuer ermittelt er zum 31. Mal vor der Kulisse der Lagunenstadt Venedig (»Milde Gaben«), obwohl seine Schöpferin inzwischen längst in der Schweiz lebt. Dass sie nun 80 wird, ist kaum zu glauben, doch schenkt uns der bevorstehende Jubeltag eine Donna Leon außerhalb der Reihe: »Ein Leben in Geschichten« heißt der autobiografische Erzählband, in dem die passionierte Händel-Expertin und Musikmäzenin Einblicke in die Jahre vor Brunetti gibt. Darin erzählt die in New Jersey groß gewordene Donna Leon aus ihren beruflichen Lehr- und Wanderjahren, die sie als Englischdozentin u. a. nach China, Saudi-Arabien und in den Iran führten, wo sie die Islamische Revolution miterlebte. Donna Leon verließ mit einem der letzten Flüge das Land, der endgültige Entwurf ihrer fast fertigen Doktorarbeit über Jane Austen aber wurde von den Iranern beschlagnahmt. In Suzhou lernte sie (einige Jahre vor der gewaltsamen Niederschlagung der Studentenproteste) die Macht des »Vorsitzenden« spüren und in Saudi-Arabien erfand sie das subversive Spiel »$audiopoly«.

Und schließlich der Lebenstraum Venedig (der nur von Touristenhorden und Kreuzfahrtschiffen zunichte gemacht wurde). Auf einer US-Militärbasis nahe der Lagunenstadt brachte sie Studierenden nicht nur die Grundzüge der Literaturgeschichte bei, sondern auch, was Toleranz und Respekt gegenüber anderen bedeuten.

Ihr Großvater mütterlicherseits hieß Noll wie ihre Kollegin im Geiste, Ingrid Noll, und wanderte aus Deutschland in die USA ein. Von ihrem Großvater väterlicherseits (er stammte ursprünglich aus Lateinamerika) hat sie den Nachnamen (es gab auch noch irische Vorfahr/innen). Ihre Liebe zur Natur wurzelt in ihrer Kindheit: Zwei Jahre lebte sie auf dem Gelände der Farm ihrer Großeltern. Von ihrer Mutter erbte sie das glückliche Naturell und den Mangel an Ehrgeiz, der durch ihr puritanisches Arbeitsethos mehr als wettgemacht wird: Kein Jahr, in dem sie ihren Kultkommissar nicht in die Abgründe des Canal Grande und der menschlichen Seele hinabtauchen lässt – wenn er nicht gerade Cicero oder Tacitus liest oder sich an den von seiner Frau zubereiteten kulinarischen Köstlichkeiten labt.

Wo man in Venedig den besten Cappuccino bekommt, warum sie schon lange vor Greta Thunberg am liebsten mit der Bahn reiste und weshalb sie keinen Unterschied zwischen Unterhaltungs- und seriöser Literatur macht. Über ihr zweites Leben in den Bergen, die Unausweichlichkeit des Alterns und ihre Liebe zur Barockmusik und zu Jane Austen.

Ein Potpourri an Geschichten – so witzig, scharfsinnig, ironisch, unterhaltsam und klug wie ihre Schöpferin. Tanti auguri, Donna Leon!

Donna Leon
Ein Leben in Geschichten
Ü: Werner Schmitz, Christa E. Seibicke u. a.
Diogenes, 192 S.