Alex Capus auf den (fiktionalisierten) Spuren der gebürtigen Baslerin »Susanna« Carolina Faesch, die den Lakota-Häuptling Sitting Bull malte.


Ihre Lebensgeschichte faszinierte zuletzt sogar Hollywood (über die Qualität des Ergebnisses, des Streifens »Die Frau, die vorausgeht«, lässt sich streiten). Alex Capus’ »Susanna« ist die zweite (und sehr gelungene) Romanbiografie der gebürtigen Baslerin (1844–1921), die Sitting Bull porträtierte (die erste stammt von Thomas Brunnschweiler). Die Geschichte einer Emanzipation, die schon mit Susannas Mutter Maria begann, die Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Mann und ihre drei Söhne verließ und sich mit ihrer kleinen Tochter nach New York einschiffte. In Basel hatte sie sich in den besten Freund ihres Mannes verliebt, aber ihre Liebe nicht zu erkennen gegeben: einen Arzt, der in die Wirren der Revolution geraten und nach Übersee geflüchtet war. Capus lässt Maria in Brooklyn auf gut Glück an die Tür dieses Dr. Karl Valentiny klopfen – es wird gutgehen: Die beiden werden ein Paar und Valentiny ist Susanna ein herzensguter Vater, ein besserer, als es ihr leiblicher je war.

In ihrer eigenen Ehe, ebenfalls mit einem Arzt, ist Susanna unzufrieden: Sie bekommt ein Kind von einem anderen und wird es allein im Haus ihrer Eltern großziehen. Als Porträtmalerin findet sie ein mehr als gutes Auslangen und dennoch bleibt ein Rest von Abenteuerlust, die sich erst nach dem Tod ihrer Eltern Bahn brechen wird: Mit ihrem Sohn macht sie sich auf den Weg ins Gebiet der Lakota, um deren Häuptling Sitting Bull zu besuchen. Sie wird Zeugin des »Geistertanzes«, einer friedlichen Protestbewegung, die den Ureinwohnern den Rückzug der Weißen, die Wiederkehr der nahezu vollständig von den Weißen ausgerotteten Bisons und die Wiedererrichtung des Paradieses auf ihrem Grund und Boden prophezeite. Susanna warnt Sitting Bull vor den möglichen Folgen: Auf ihrem Weg hat sie gesehen, wie die Soldaten sich erneut gegen die Ureinwohner formieren. Aus der Geschichte wissen wir, dass Susanna Recht behalten wird: Die »Geistertanz«-Bewegung führte zum Massaker von Wounded Knee, das den endgültigen »Sieg« der Weißen über die indigene Bevölkerung brachte.

Ein in Rück- und Vorblenden sehr lebendig erzählter Emanzipations- und Künstlerroman vor dem Hintergrund der gesellschaftspolitischen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts. Die alten Ordnungen gelten nicht mehr, aber das Neue hat noch nicht (ganz) begonnen. Die Maschinen beginnen die Menschen zu ersetzen. Wer nicht mithalten kann, landet im Elend.

Anders als ihr berühmtestes Modell Sitting Bull (die von ihr nach Fotokarten angefertigten Porträts des Häuptlings hängen heute in der Sammlung der North Dakota Historical Society in Bismarck und im Historic Arkansas Museum in Little Rock) starb die Malerin und Bürgerrechtlerin Susanna Faesch (alias Caroline Weldon) 1921 weitgehend vergessen und vereinsamt in ihrer New Yorker Wohnung. Höchste Zeit also, sich ihrer Lebensgeschichte erneut zu vergewissern.

Alex Capus
Susanna
Hanser, 288 S.