Untergangsszenarien von apokalyptischer Schönheit und poetischer Kraft entwirft Tanja Raich in ihrem Roman »Schwerer als das Licht«. Fotos: Minitta Kandlbauer.


Das Leben auf einer tropischen Insel steuert seinem Ende entgegen. Die Protagonistin bunkert sich in ihrem Haus ein – aus Angst vor Angreifern aus dem Norden. Sterne fallen vom Himmel, die Natur stirbt und die letzten Tiere (und Menschen) fallen übereinander her. Wir erreichten Tanja Raich zum Interview über ihren Roman, die drohende Umweltkatastrophe, Krieg, toxische Männlichkeit und alternative Gesellschaftsentwürfe.

Buchkultur: Was hat Sie, ich möchte fast sagen, dazu »getrieben«, diesen Roman zu schreiben? Weshalb Sri Lanka als Hintergrund? Haben die Mythen, der Geister- und Dämonenglaube und die Tänze aus Sri Lanka Eingang in Ihren Roman gefunden? (auf der anderen Seite haben bei uns im Westen Verschwörungstheorien nicht erst seit der Pandemie wieder starken Zulauf)

Tanja Raich: Sri Lanka und viele andere Reisen haben mich beeinflusst, sind aber nicht der konkrete Hintergrund. Ich habe den Roman schon begonnen, bevor ich in Sri Lanka war, dort hatte ich allerdings die Möglichkeit, im Rahmen eines Schreibaufenthalts an meinem Roman zu arbeiten und dort auch die Recherchen zu vertiefen, das betrifft vor allem Naturbeobachtungen. Mir sind vor allem in Sri Lanka sehr viele wundersame Arten begegnet wie etwa die »barringtonia asiatica« oder die »mimosa«. Mythen und Geistergeschichten sind mir vor allem auf meiner Reise in Indien begegnet. Der Roman ist vermutlich ein Mix aus sehr vielen Dingen, aus diesem Grund ist er auch ort- und zeitlos geblieben.

Ihr Buch wird von der Wirklichkeit eingeholt: Die Hitzewelle in Europa hat extreme Waldbrände zur Folge. Klimakatastrophen, Krieg und Gewalt bedrohen das ohnehin schon fragile Gleichgewicht unseres Planeten. Fürchten Sie, dass Ressourcenknappheit und Klimakatastrophe zu noch mehr Kriegen und Fluchtbewegungen führen werden? Sind wir an einem vorläufigen Ende angelangt? Gibt es noch Hoffnung für die Welt? Bzw. was gibt Ihnen Hoffnung? Was können wir Positives dagegenhalten?

Die Pessimistin in mir sieht wenig Positives für die Zukunft. Die Optimistin in mir hofft darauf, dass sich die schlimmsten Szenarien noch abwenden lassen, aber im Moment weist wenig darauf hin. Ich denke, dass wir wieder einen Bezug zu unserem Ursprung und unserer Umwelt finden müssen – wir sind auf dieser Welt eine Spezies von vielen, hätten wir uns so verhalten, sähe die Welt heute wohl anders aus. Hoffnung gibt mir der Erfindungsgeist der Menschheit.

Die Protagonistin bunkert sich in ihrer Festung ein – aus Angst vor Angreifern aus dem Norden. Wofür steht dieses ungeheuer plastische Bild? Traumbilder und Realität verschmelzen da ineinander: Ist sie (sich) denn selbst die noch größere Bedrohung?

Ich denke, dieses Bild begegnet uns aktuell sehr oft. Ich hatte ursprünglich ein Zitat dem Roman vorangestellt, das ich allerdings rausgeworfen habe: »Wenn einer im Glashaus sitzt, wird er den ersten Stein werfen. Das Glashaus wird über uns zusammenbrechen und die Scherben werden sich in unsere Körper bohren, bis wir ausbluten. Bis der Krieg uns zerstört.« Wir sitzen in einem Glashaus und wer den ersten Stein wirft, richtet die Waffe nicht nur gegen andere, sondern vor allem gegen sich selbst.

»Es ist das Unabwendbare, das mir den Atem nimmt. Alles verschwindet. Nur ich bin immer noch hier. Das Ende rückt näher. Was bleibt, wenn alles verschwunden ist?«, heißt es im Buch, und das würde ich Sie auch gerne fragen: Was bleibt, wenn alles verschwunden ist? Glauben Sie (noch) an so etwas wie ein Weiterleben nach dem Tod, den Kreislauf des ewigen Lebens, der Natur? Dass alles sich immer wieder erneuert?

An den Kreislauf der Natur glaube ich in der Tat und dass wir verschwinden werden, aber nicht unbedingt die Erde mit uns untergehen wird.

Im Buch ist zumindest noch die Erinnerung an ein gemeinschaftliches Leben, eine Gemeinschaft intakt. Ist der Mensch der größte Feind des Menschen? Verroht er immer mehr? Zerstört er sich selbst? Weshalb tut er das? Und können wir nur als Gemeinschaft überleben?

Dass der größte Feind des Menschen der Mensch selbst ist, ist ein offenes Geheimnis. Ich bin überzeugt, dass wir nur als Gemeinschaft überleben werden. Das hat sich schon während der Pandemie gezeigt und verschärft sich im Moment bezogen auf Energie, Wasser und Getreide. In einer globalisierten Welt fällt uns der Egoismus wieder selbst auf den Kopf, auch das hat bereits die Pandemie gezeigt.

Wir erleben gerade wieder einen Krieg, der von Männern gemacht und von Männern geführt wird. Frauen und Kinder sind auf der Flucht. Auch die Klimakatastrophe ist die Folge eines Weltbilds, das von Macht, Gier und Fortschrittsdenken beherrscht wird und das wir als »patriarchalisch« oder »männlich« bezeichnen. Ihr Wort dazu? Im Band »Das Paradies ist weiblich« haben zwanzig Autor/innen zum Thema geschrieben. Ist das Paradies weiblich? Wäre die Welt eine bessere, wenn Frauen das Sagen hätten? Wie könnte, sollte ein alternatives Gesellschaftsmodell aussehen?

Ich denke, wir müssen unsere Gesellschaft neu denken, wir müssen uns vom Patriarchat befreien und an einer konsensorientierten und inklusiven Gesellschaft bauen, in der jede/r sich entfalten kann. Die Welt ist dann eine bessere, wenn wir in allen Bereichen von Gleichberechtigung und sozialer Gerechtigkeit sprechen können.

Die Frauenrechte stehen weltweit auf der Kippe. Aber auch bei uns verrichten Frauen nach wie vor den Großteil der sogenannten Care-Arbeit, bleiben zuhause bei den Kindern und stecken finanziell zurück (wie man auch in der Pandemie gesehen hat und sieht). Eine der Folgen davon sind niedrige Pensionen und Altersarmut. Wie können wir all dem gegensteuern? Wo müssen wir als Gesellschaft ansetzen, damit Rechte, die uns selbstverständlich erschienen, gewahrt bleiben bzw. Realität werden?

Die Politik ist gefragt und diese sollte Strukturen schaffen, um hier gegenzusteuern. Es gibt zu wenig Betreuungsplätze, zu wenige Möglichkeiten, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Ich denke, dass wir auch hier neue Modelle finden müssten, um den Problemen zu begegnen. Bezahlung für Care-Arbeit, flächendeckende Betreuungsmöglichkeiten, aber auch die Reduzierung der Arbeitszeit und ein bedingungsloses Grundeinkommen könnten mögliche Lösungen sein. Unsere Gesellschaft ist geprägt von patriarchalen Denkmustern, von diesen müssten wir uns befreien, ich denke, dass damit einhergehend auch der Leistungsdruck und Gewinnorientierung in Frage zu stellen wären.

Der tragische Fall der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr wirft auch ein Licht darauf, dass man als Frau in der Wissenschaft kaum Gehör findet oder ernst genommen wird. Sie wies lange vor den offiziellen Studien auf die Wirksamkeit eines Medikaments gegen Covid hin. Ihr Wort dazu?

In Zeiten von Fake News haben Tatsachen und vor allem unbequeme Tatsachen einen schweren Stand, wenn die Sprecherin auch noch eine Frau ist, verschärft sich die Situation um ein Vielfaches, es trifft aber auch Männer wie bspw. Rudi Anschober. Nicht umsonst machen Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, schon seit längerer Zeit darauf aufmerksam. Auch Sigi Maurer, Corinna Milborn, Stefanie Sargnagel u. v. m. waren mit Hass und Morddrohungen konfrontiert. Politisch wird hier allerdings viel zu wenig unternommen. 

Ich denke, das ist das Symptom einer anonymisierten und aufgehetzten Gesellschaft, die sich im Netz die Bälle zuspielt und sich über die Konsequenzen ihrer Handlungen nicht mehr bewusst ist, oder sie auch bewusst in Kauf nimmt. 

Studien zufolge lesen Frauen mehr als Männer. Trotzdem werden Bücher von Frauen nach wie vor weniger oft besprochen bzw. wird Literatur von Frauen oft mit negativen Klischees belegt (»Hausfrauenroman«, »Frauenliteratur« …). Wie frauenfeindlich ist die Literatur- und Verlagswelt?

Ich denke, dass sich in den letzten Jahren sehr viel verändert hat, die Marginalisierung von Frauen und Literatur von Frauen hat mit dieser internalisierten Einteilung zwischen dem Öffentlich-Weltlichen aka Männlichen und dem Privaten aka Weiblichen zu tun. Männer besprechen vermehrt Männer auf größeren Plätzen im Feuilleton. An dieser Stelle möchte ich insbesondere das Buch »Frauen Literatur« von Nicole Seifert empfehlen. Die öffentliche Thematisierung und Aktionen wie #frauenzählen oder #dichterdran haben hier sicher bereits für Sensibilisierung gesorgt, aber es ist noch einiges zu tun, gerade in puncto Repräsentanz in der Buchbranche. 

Sie leiten das Literatur- und Kinderbuchprogramm bei Leykam. Wie lassen sich, angesichts der Fülle an digitalen Zerstreuungen, Kinder und Jugendliche wieder zum Lesen verleiten?

Das Buch wurde schon oft totgesagt, dabei lesen Kinder und Jugendliche vielleicht so viel wie nie zuvor, aber nicht unbedingt Bücher. Wir müssen sie zum Lesen bringen, sie für das Buch und das Lesen begeistern, antiquierte Leselisten und ein Kanon, den mittlerweile jede/r runterbeten kann, könnten meiner Meinung nach getrost verworfen werden. Das Lesen und das Buch sollten mehr Platz bekommen, im Unterricht, in den Medien und im Alltag. Es sollten auch Themen gewählt werden, die mehr mit der Lebensrealität der Kinder und Jugendlichen zu tun hat. Warum nicht mal eine Graphic Novel als Klassenlektüre lesen, warum nicht mal internationale Autor/innen im Deutschunterricht? Die Buchwelt ist so vielfältig und bunt und hat sich schon lange von Kategorien und Schubladen gelöst, das könnte doch auch mal Eingang in die Schulen finden!


Tanja Raich wurde 1986 in Meran geboren und hat Germanistik und Geschichte studiert. Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften (Kolik, Lichtungen, Die Rampe u.a.) und Anthologien. Verschiedene Preise und Stipendien, u.a. 2. Platz beim Münchner Kurzgeschichtenwettbewerb 2015, Finalistin beim 20. MDR-Literaturwettbewerb, Rom-Stipendium des Bundeskanzleramtes Österreich, Exil-Literaturpreis 2014. Tanja Raich lebt in Wien. »Jesolo« war für den Österreichischen Buchpreis in der Kategorie Debüt nominiert.

Tanja Raich
Schwerer als das Licht
Blessing, 192 S.