Manchmal mangelt’s: An Wissen. Wer seine kognitiven Fühler ausstreckt, wird ziemlich schnell bemerken, dass unsere Kenntnisse über die »Wunder der Natur« nur schwach bewusst sind, bestenfalls geahnt werden. Illustration: Beatrice Forshall.


Wir zivilisierten Menschen leben in der einst von Mauern abgeriegelten Stadt (civitas) – die Natur ist außerhalb, jetzt industriell verwertet und eingeebnet. Ebenso hat die biologische Diversität schon bald einen irreversiblen Kipp-Punkt erreicht, wie Beatrice Forshall nach einem Aufenthalt als Artist in Residence bei der Cambridge Conservation Initiative (CCI) in ihrem profunden und empathischen Essay feststellt: »Seit Beginn der Zivilisation (vor etwa 11.000 Jahren) hat der Mensch die Hälfte aller Pflanzen und 83 % der wild lebenden Säugetiere ausgerottet«, ist ihre deprimierende Bilanz. Durch die Perspektiven von drei Ebenen – Luft, Wasser, Boden – gelingt ihr eine poetische Phänomenologie des drohenden Kollapses biologischer und auch kultureller Diversität, indem sie elementare Kreisläufe Pflanzen und Tieren zuordnet und die Störfaktoren benennt. Begleitet von ihren melancholischen Illustrationen lässt sie exemplarisch gefährdete Arten in ihren je spezifischen Biotopen Revue passieren, sodass bestimmte Zusammenhänge evident und durch den Stil passende Fantasien kritisch angeregt werden.

Gegen die Hybris des Homo sapiens, die Krone der (biblischen überlieferten) Schöpfung zu sein, protestiert Marco di Domenico, Biologe an der Sapienza Rom, mit subtilen wissenschaftlichen Argumenten. Sein »Brevier der Verwandlungen« spürt den seltsamen Vorgängen der Metamorphosen (wie Ei – Larve – Puppe – Schmetterling) auf den unteren Etagen der evolutionären Hierarchie nach, von Amöben zu Amphibien. Doch Klassifizierungen, die eher menschlichen Bedürfnissen als der Realität entsprechen, sind ihm suspekt. Die Episoden seiner analytisch-deskriptiven Zoologie sind manchmal mit galligem Humor aufgelockert, etwa: »Das Leben ist ein Staffellauf, der Einzelne nur eine Teilstrecke, mit den Genen als Zeugen. Alle Tiere entwickeln sich nach einem genetisch festgelegten Bauplan.« Woher dieser Bauplan kommt und warum er sich unterwegs möglicherweise in Details ändert, erklärt er nicht. Interessant ist allerdings sein Fazit, dass der Homo sapiens zu den wenigen Spezies gehört, bei denen keine Metamorphose stattfindet, somit eine zwar dominierende, aber quantitativ nicht dominante Population ist. Demut ist angesichts dieses Befundes angebracht und angemessen. Eine Haltung, die auch der niederländische Förster Arjan Postma einnimmt und propagiert, wenn er meint, dass »eine verrückte Ameise die Welt verändern kann«, eine lesenswerte Folge von Analogien seiner Beobachtungen bei Tieren in Relation zur menschlichen Existenz. So skizziert er in vierundzwanzig kurzen Kapiteln einige Themen, die verblüffende Erkenntnisse vermitteln: nicht nur dass Tiere zum Werkzeuggebrauch, sondern einige sogar zu grammatisch strukturierter Sprache fähig sind, und, besonders überraschend, dass Homosexualität zum Überleben einer Art nützlich ist (wodurch gewisse humane Vorurteile entkräftet werden, hoffentlich). Zwar sollte man solche Analogien nicht allzu sehr strapazieren, aber sie weisen nachdrücklich darauf hin, dass Menschen nicht so einzigartig sind, wie sie sich gern (oft aus religiösen Motiven) wünschen.

Illustration: Octavie Wolters

Vielmehr sind ungetrübte Blicke etwa auf »Die schillernde Welt der Vögel« heilsam für unbegründeten Dünkel. Der britische Ornithologe David Lindo, auch Urban Birder genannt, lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die anatomischen Eigenschaften und Lebenssphären der Federtiere, nach seiner Überzeugung evolutionäre Nachfahren der Dinosaurier. In kurzen Porträts beschreibt er die wichtigsten Repräsentanten verschiedener Arten, wie sie nisten, Junge großziehen, ihre Nahrungssuche und Gefährdungen. Die Texte sind einfach verständlich, insbesondere von Farbzeichnungen dekoriert, die auch die Umwelt einbeziehen. So entsteht eine enthusiastische Fabel aerodynamischer Fortbewegung. Zum Flügelschlag gehören allerdings auch individuelle Vogelstimmen wie »Das Lied des Stars« von Octavie Wolters. Ihr mit Kaltnadelradierungen gerahmter Hymnus reflektiert nicht nur die Schönheit der Welt, der Star soll darüber hinaus die Wünsche und die Spektren anderer Vögel in weiteren Strophen seines Liedes berücksichtigen. So wird der Star-Cantus zu einem universalen Plädoyer, die Natur zu bewundern und zu erhalten.

Wissen und Ästhetik werden bei der Beschreibung der Morphologie und dem Verhalten der Protagonisten in diesen opulent gestalteten Büchern über »Das große Staunen« zum Einklang gebracht, sodass Natur nicht länger fremd und außerhalb wirkt: Natur kann ein Freund und, wenn sie nicht andauernd zerstört wird, ein gemeinsames Nest auf unserem Planeten sein, in dem die Menschen allen Organismen und Lebewesen mit Respekt begegnen können. Diese Einsicht sollte uns beflügeln.

Beatrice Forshall
Wunder der Natur. Eine Hommage an die letzten Tiere und Pflanzen ihrer Art
Prestel, 256 S.

Marco di Domenico
Das Brevier der Verwandlungen. Metamorphosen im Tierreich
Folio, 304 S.

Arjan Postma
Wie eine verrückte Ameise die Welt verändern kann und andere erstaunliche Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier
Knesebeck, 224 S.

David Lindo, Claire McElfatrick
Die schillernde Welt der Vögel
DK Verlag, 80 S., ab 7

Octavie Wolters
Das Lied des Stars
Freies Geistesleben, 32 S., ab 5