69 Erzählungen des „Lolita“-Autors Vladimir Nabokov, aus drei Sprachen meisterhaft übersetzt, erscheinen im Rowohlt-Verlag. Foto: Wikimedia Commons


Einmal geht vielleicht noch – oder sogar öfter? Die Publikationsgeschichte der Erzählungen Vladimir Nabokovs ist eine aufregende Schatzsuche. Seit der deutschen Gesamtausgabe 1989 ist manch neues aufgetaucht. Obwohl der Großmeister selbst Hinweise streute, mit seinem Sohn Dimitri zusammen seine Texte zwischen Sprachen hin und her übersetzte und Notizen Marke „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich diese Geschichte dann und dann geschrieben habe“ daran heftete, ist es sehr wahrscheinlich, dass noch ein paar Goldstücke irgendwo ihrer Exhumierung harren. Penibelster Goldgräber im deutschen Sprachraum war bisher der Anglist Dieter E. Zimmer, der von einer lückenlosen Nabokov-Gesamtausgabe träumte und leider im Juni 2020 mitten im Herausgabeprozess „Einzelheiten eines Sonnenuntergangs“ und „Wolke, Burg, See“ verstarb. Von den mindestens 70 Erzählungen, die Nabokov in den Jahren von 1921 bis 1952, erst vom Berliner, dann vom US-amerikanischen Exil aus verfasste, hat Zimmer in der zweibändigen Ausgabe immerhin 69 chronologisch und in Übersetzungen versammelt, die teils zum Niederknien gut der Intelligenz und Experimentierfreude des russischen Autors gerecht werden. 

Wer sie auf knapp 1200 Seiten alle liest, bekommt das ganze Spektrum des Nabokov-Universums: Der Mann liebte Spott und Sehnsucht, Schmetterlinge und Schach, Sprachen und Spiele (mit Sprache). Wie kein anderer konnte er in der präzisen Beschreibung eines Blattes oder einer optischen Täuschung im Berliner Stadtbild verweilen. Vor allem durch die frühen Erzählungen zieht sich aber auch ein makabres Interesse für den Tod. Am Leben hängen die Protagonisten jedenfalls selten. Und wenn doch, kommt bei Nabokov eine Prise Spott hinzu, wenn sie sich an ihrem letzten Tag die abenteuerlichsten Reisen einbilden, um dann als bittere Pointe erst recht ihr Totenbett nie mehr verlassen zu haben.

Im zweiten Band nehmen die formalen Fingerübungen zu. Geschichten sind in Briefe an den Autor oder von ihm an die Verfasserin eines vermeintlich (aber eigentlich überhaupt nicht) sein missglücktes Liebesleben beschreibenden Romans gegossen. Der Autor „rekrutiert“ im Alltag eine unbedeutende Nebenfigur für sein literarisches Werk oder kapert still und heimlich eine Figur aus Oscar Wildes „Dorian Gray“. Tiefe Traurigkeit angesichts des notwendigen Dauerexils lässt sich aber auch hier bisweilen spüren. Hier nun fünf Gustostücke aus dem Nabo-Koffer. [ … ]


Der vollständige Artikel befindet sich in Buchkultur Ausgabe 194.
Weiterlesen:

Vladimir Nabokov, Einzelheiten eines Sonnenuntergangs. Sämtliche Erzählungen 1921 bis 1932 (Rowohlt), 672 S.

Vladimir Nabokov, Wolke. Burg. See. Sämtliche Erzählungen 1933 bis 1951 (Rowohlt), 608 S.