Ein bereits im Vorfeld ausgepriesener Roman: Sally Rooneys Debüt „Gespräche mit Freunden“ über die Gefühls- und Lebenswelten einer jungen Frau an der Schwelle zum Erwachsenwerden war ein Medienereignis über Irlands Grenzen hinaus.
Wie der Titel vermuten lässt, funktioniert Rooneys Roman fast ausschließlich über Dialoge. Im Mittelpunkt des modernen Liebesreigens steht die einundzwanzigjährige Studentin, Spoken-Word-Lyrikerin und Ich-Erzählerin Frances. Sie gibt sich nach außen hin kühl und distanziert, denn Gefühle zu zeigen, ist gefährlich. Der Vater ist Alkoholiker, ihre Kindheit war von seiner Krankheit bestimmt. Nach einem ihrer Auftritte in Dublin machen Frances und ihre lesbische Freundin Bobbi (die beiden waren zu Schulzeiten liiert) die Bekanntschaft eines etwa zehn Jahre älteren Ehepaars. Melissa ist Schriftstellerin und Fotografin, Nick Schauspieler. Die Begegnungen vertiefen sich nicht ganz wie erwartet. Doch Frances und Nick beginnen eine Affäre, in der sie an ihre Grenzen stoßen. Frances begibt sich auf ein selbstzerstörerisches Minenfeld der Gefühle, die ihre Freundschaft zu Bobbi auf die Probe stellen. Nick ist depressiv und offenbar nicht in Versuchung, seine Frau zu verlassen: ein klassisches Rollenspiel, und doch mehr als nur ein Klischee. Die wie ein Panzer aufgesetzte Emotionslosigkeit, mit der Frances sich umgibt, hilft in Herzensangelegenheiten nicht weiter, sondern richtet sich gegen sie selbst. Die starke Anziehung und Liebe, die zwischen Frances und Nick besteht, ist ebenso greifbar wie verletzlich. „Gespräche mit Freunden“ thematisiert das Versagen von zwischenmenschlicher Kommunikation: was man vorgibt, zu sein oder zu wollen, aus Selbstschutz, Angst, und wie man darüber sich selbst und die anderen zu verlieren droht. Gleichzeitig geht es auch um die befreiende Kraft der Literatur, die zum Ausdruck bringt, was man andernfalls unter Verschluss hält. Die Liebe ist auch zur Jahrtausendwende um nichts weniger schmerzlich, überwältigend, verstörend und banal. Frances lässt ihre Kindheit endgültig hinter sich.
Authentisch und virtuos beschreibt Rooney die Zerstörung von Unschuld, das Machtgefälle und die Dynamiken in Beziehungen und Freundschaften, Verrat und Treue. Unterlegen ist Frances auch, was ihren sozialen Status betrifft: Sie ist Beihilfeempfängerin, die am eigenen Leib erfährt, wogegen Bobbi allenfalls theoretisch protestiert. „Gespräche mit Freunden“ ist auch eine (leichte) Kritik an unserer kapitalistischen Gegenwart. Vor allem aber geht es um Intimität und Liebe in all ihren Ausprägungen und den Kontrollverlust, der damit einhergeht. Präzise beobachtet, sensibel erzählt bis in die Sexszenen, die den Status der Beziehung spiegeln. Rooney verlässt sich beim Schreiben weniger auf Bilder als auf gute Dialogführung, in der Privates (und am Rande auch Politisches) verhandelt wird. Das ist literarisch nicht unriskant, geht aber vollends auf. Ein bezwingendes Buch mit starker Sogwirkung, das die Verletzlichkeit, Schutzlosigkeit und Unsicherheit, die Kraft, die Überheblichkeit und den Idealismus junger Menschen heute auf den Punkt bringt, ohne sie zu verraten.
Sally Rooney, „Gespräche mit Freunden“ (Luchterhand)
Übers. v. Zoë Beck, 384 S
gespräche mit freunden | sally rooney

26. Juli 2019