Die Salzburger Schriftstellerin Laura Freudenthaler verwebt in einem verstörenden Text Klimakatastrophe, Depression und Schlaflosigkeit. Sie greift dabei auf Elemente aus ihren preisgekrönten Romanen »Geistergeschichte« und »Die Königin schweigt« zurück, verwendet dabei aber eine radikal andere Form. Foto: Gianmaria Gava.


Ein zweifaches »Ich«: Ein einsamer Mann, Meteorologe und Brandexperte, besessen vom Feuer. Ihn quälen Schlafstörungen (er spricht dabei ironisch von »Schlafmangelqualität«) und soll daher auf Rat der Therapeutin ein Schlaftagebuch führen. Sein verzweifeltes Bemühen: ein neues Bewusstsein, einen neuen Umgang mit der Natur zu schaffen, denn es geht nicht mehr nur um das Wohl des Waldes, sondern um das der Menschen allgemein. Sein weibliches Gegenüber ist rastlos, zieht öfters um, hat Probleme sich abzugrenzen. Als Journalistin beschäftigt sie sich mit dem Riffsterben, toxischen Algen und erstickenden Sumpfzypressen. Zwei gegensätzliche Elemente, Feuer und Wasser, die eines gemeinsam haben: Sie sind nicht zu (er)fassen, verändern ständig ihre Form, können bedrohlich werden. Gibt es eine Beziehung zwischen den Protagonisten? Wenn, dann wird sie zu eng … Ganz in der Nähe brennt es schon.

»If the keeper of the flame goes berserk, so does fire.« Die dem Buch vorangestellte Warnung von Stephen J. Pyne nimmt das (auch im übertragenen Sinn gelesene) zentrale Thema vorweg, wie auch der Titel: Arson = Brandstiftung. Darüber hinaus findet sich auf der Homepage von Laura Freudenthaler ein Text mit dem Titel »Bis wir verbrennen«. Warum die intensive Beschäftigung mit Feuer? »Stephen J. Pyne ist einer der Begründer der Feuerökologie, er hat den Begriff des Pyrozäns aufgebracht. Ich habe durch seine Arbeiten viele Einsichten gewonnen, das wollte ich mit dem Zitat würdigen. Wenn man beginnt, sich mit Waldbränden oder Vegetationsbränden zu beschäftigen, landet man schnell bei Verbrennung in einem umfassenderen Sinne und bei der Nutzung fossiler Energien, dem Feuer des industriellen Zeitalters, ohne Flammen, in eingehegter, den Blicken entzogener, kontrollierter und beherrschter Form. Diese übermäßige Verbrennung hat im Wesentlichen das herbeigeführt, was für uns nun eine klimatische Katastrophe und den Kollaps unserer Welt bedeutet. Man kann auch Kapitalismus dazu sagen.«
Die bleischweren Glieder nach einer neuerlichen quälenden Nacht, der Versuch, sich beim Weichen der Dunkelheit in einem Zimmer zu orientieren, das beim ersten Erwachen fremd scheint, einzig die verletzliche Haut als Grenze von Ich und Welt – Sinneswahrnehmungen werden erlebt und gleichzeitig von außen beobachtet. Wenn Freudenthaler hingegen die körperliche Erschöpfung des Menschen in Zusammenhang mit dem in der Metallurgie gebrauchten Ausdruck für ausgebeutetes Gestein setzt, hebt sie damit individuelle menschliche Empfindungen auf eine höhere Ebene – das ist poetisch und politisch zugleich. Im bereits erwähnten Essay »Bis wir verbrennen« wird die politische Philosophin und marxistische Feministin Silvia Federici mit folgendem Satz zitiert: »They are gonna burn you«, womit ganz nebenbei auch die Hexenverbrennungen einfließen. Ist Laura Freudenthaler eine politische Schriftstellerin geworden?
»›Bis wir verbrennen‹ ist eine Reflexion über die aktuellen Bedingungen des Schreibens. Es ist schließlich nicht möglich, unbeeinflusst von den katastrophalen Geschehnissen zu schreiben. Was für ein Schreiben ist überhaupt noch möglich? Die Frage, ob man eine Verantwortung habe, sich ›politisch‹ zu äußern oder zu betätigen, hat sich für Schriftsteller immer gestellt. Man müsste zunächst einmal darüber sprechen, was denn politisches und unpolitisches Schreiben, was ein politischer und was ein unpolitischer Schriftsteller sei. Ich war, meiner Auffassung nach, bislang keine unpolitische Schriftstellerin. Es hat sich nichts daran geändert, dass ich die Welt, in der ich lebe, sehr aufmerksam und mit großer Betroffenheit wahrnehme und schreibend damit umgehe. Man spricht viel davon, Bewusstsein zu schaffen, vor allem im ökologischen Kontext, überall hört man den Begriff ›umweltbewusst‹ – Umweltbewusstsein, was für ein Wort, wenn man es bedenkt! Ich halte es für das Wesen der Literatur, Bewusstsein zu schaffen – das beginnt, mit dem Schreiben, bei mir selbst: Die Sprach- und Formfindung ist meine Bewusstseinsarbeit.«

Bemerkenswert ist der Aufbau von »Arson«: Das Ungeklärte hatte schon der »Geistergeschichte« den besonderen Ton gegeben – waren die Seitensprünge von Annes Mann und das Eindringen seiner jugendlichen Geliebten in ihre (Gedanken-)Räume real oder bloße Vorstellungen? –, nun legt sich das Unerzählte über den gesamten, in kurze Reflexionen aufgeteilten Text, verschichtet und verdichtet ihn. Laura Freudenthaler beschreibt es so: »Es gibt mehrere ›Texte‹, von denen man annehmen muss, dass sie den Hintergrund des Buches bilden, das »Arson« ist, die Unterströmungen oder Tiefenschichten, die nur an manchen Stellen auftauchen, sichtbar werden. Das sind seine (Anm: des männlichen Protagonisten) Aufzeichnungen, einerseits das Schlaftagebuch, das er nicht so nennen will, und andererseits die Aufzeichnungen über die Brände, und das ist das Vokabelheft, in dem das Ich Wörter und Wendungen sammelt, die es ›nicht mehr versteht, umso weniger, je öfter es sie hört‹, bis es schließlich verstummt. Es ist auch eine Geschichte des Sprechens und des Verstummens, die hier erzählt wird. Ein Kind gesundet am Schluss und beginnt zu sprechen. Es geht um Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Verständigung.«

Der Schlaf beziehungsweise seine Abwesenheit spielt in »Geistergeschichte« und »Die Königin schweigt« eine wichtige Rolle. In »Arson« noch viel mehr, es fällt dazu noch das Wort Depression …
»Das Wort Depression fällt nicht nur einmal, sondern viele Male, da es eines der zentralen Wörter unserer Zeit und unserer therapierten Gesellschaft ist. Die Zahl derer, die an Depression, Burnout, Angststörungen und so weiter leiden, nimmt ständig zu. Dass so gut wie jeder unter Schlafstörungen leidet, ist nicht weiter verwunderlich, wenn es nirgends mehr Dunkelheit, Stille und Ruhe gibt und auch der Schlaf dem kapitalistischen Nutzdenken einverleibt wird: Er ist nötig, um die Leistungsfähigkeit zu erhalten. Wir leiden an einer kollektiven Schlafstörung, wie wir an einer kollektiven Depression leiden, und eigentlich wäre alles andere monströs – diese Reaktion, die Krankheit, ist der noch vorhandene Rest an Menschlichkeit. Salopp gesagt: Die einzig gesunde Reaktion angesichts der Welt, in der wir leben und dessen, was uns erwartet.«

Sind seit den ersten Bränden des Buches Tage oder Jahre vergangen? Loderten sie in den Wäldern Nordamerikas oder doch irgendwo in der österreichischen Provinz? Raum und Zeit sind nicht mehr wichtig. Die alte Fanny brachte es als »schweigende Königin« bereits auf den Punkt: »Die Wirklichkeit gehorchte nicht mehr der Ordnung.« – Die Welt existiert nur mehr im Kopf, ihr Tagebuch bleibt konsequenterweise leer. »Arson« ist in Form und Anspruch eine Herausforderung. Ungefähr das hat Virginia Woolf in »Ein Zimmer für sich allein« (1929) formuliert: »… die lebenden Dichter geben einem Gefühl Ausdruck, das gerade erst entsteht und sogleich aus uns herausgerissen wird. Man erkennt es anfangs nicht, oft fürchtet man es aus irgendeinem Grund …«


Laura Freudenthaler, 1984 in Salzburg geboren, studierte Germanistik, Philosophie und Gender Studies. Mit ihrem Debütroman »Die Königin schweigt« (Droschl) wurde sie beim Festival du premier Roman 2018 ausgezeichnet, mit ihrem Roman »Geistergeschichte« (Droschl) landete sie 2019 auf dem ersten Platz der ORF-Bestenliste und erhielt den Literaturpreis der Europäischen Union. Ihr aktueller Roman »Arson« erscheint nun beim Salzburger Jung und Jung-Verlag.

Laura Freudenthaler
Arson
Jung und Jung, 256 S.