Es ist soweit: Österreich präsentiert sich wieder als Gastland auf einer großen deutschen Buchmesse. Nach 1995 in Frankfurt ist es diesmal Leipzig, das der Alpenrepublik eine besondere Bühne bietet. Die Präsenz österreichischer Verlage am deutschen Buchmarkt ist zu gering, das soll sich durch diesen Auftritt ändern, wurde bei der Gastland-Pressekonferenz im März verlautbart. Worauf deutsche Zeitungen titelten: »Österreich will stärker auf den deutschen Buchmarkt« oder »Österreichs Verlage wollen mit Buchmesse mehr Marktanteil«. Doch ist das realistisch? Ein Déjà-vu kommt bei mir auf. Geht man hier erneut der Fantasie einer großen Bühne nach, mit großen Erwartungen, die nicht erfüllbar sind? Wie war denn das 1995, nach dem großen Gastland-Auftritt in Frankfurt? Damals mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass der deutsche Buchmarkt nachhaltig nicht erschlossen werden konnte. Sechs Jahre später zeigte dann die umfangreiche Studie »Buchverlage in Österreich« (Panzer/Scheipl), dass nicht der Standort, wie manchmal kolportiert, den Nachteil mit sich bringt, sondern die grundsätzlich zu geringen Umsatzvolumen, nicht genug, um die notwendigen Marketingmaßnahmen und Vertriebsstrukturen zu setzen. Und so liegt der Anteil österreichischer Bücher in Deutschland auch heute nur unter einem Prozent – das tut weh!
Das Problem der Größe wurde nun auch in Deutschland bestätigt, als das deutsche Kulturministerium 2021 eine »Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse im Bereich der Förderung verlegerischer Vielfalt auf dem Buchmarkt« beauftragte. Darin heißt es unter anderem: »Insbesondere kleine und unabhängige Verlage sind durch die aktuellen Ereignisse und Entwicklungen gefährdet. 67 % der Verlage mit einem Jahresumsatz unter 1 Mio. Euro bewerten die aktuelle Situation der Buchverlage als negativ oder eher negativ.« Das betrifft dann wohl in gleicher Art und Weise den Großteil der österreichischen Literaturverlage.
In Österreich wurde rechtzeitig und innovativ vorgesorgt, der Staat stellt seit 1992 Mittel der Kulturförderung zur Verfügung: Für die Realisierung von heimischen Buchprogrammen, für Autor/innenpflege, für Vertrieb und Werbung und unter anderem eben auch für den Gastland-Auftritt in Leipzig, der immerhin 2,2 Millionen Euro kostet. Da freut sich das patriotische Bücherherz und wünscht sich noch mehr Unterstützung für die Literatur und die Bücher.
Doch halt – eine Sache ist ziemlich in Schieflage geraten: Es sind nämlich nach wie vor die gleichen, altgedienten Branchenteilnehmer, die die Fäden ziehen, sich große Kuchenstücke holen und Neues reflexartig abwehren. Doch die Ideen der alten Geister können in der sich dramatisch verändernden Welt nicht überleben. Wir brauchen frische Impulse, müssen Platz schaffen für jüngere Menschen und für einen dynamischen Entwicklungsraum, der umsichtig, vielseitig und differenziert neue Wege denkt. Wir brauchen ein neues Miteinander-Reden über die Notwendigkeiten der Branche, über Wirkungen und Nebenwirkungen von Maßnahmen, notwendige regionale Versorgungs- und Produktionsstrukturen, neue Sektoren und Technologien. Und letztendlich brauchen wir eine ganz neue Fantasie für den wunderbaren Literatur-Talenteschuppen Österreich.
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Aus: Buchkultur 207 vom 14.4.2023 – mit 12 Seiten extra zum Gastland Österreich auf der Leipziger Buchmesse!