Auf fünf Prozent hat sich in der Belletristik der Marktanteil der englischsprachigen Bücher im deutschsprachigen Raum von 2020 bis heute verdoppelt, die Verlage tun sich zunehmend schwerer, die oft teuer eingekauften Lizenzen an den Mann oder die Frau zu bringen. Wir haben Übersetzerin Conny Lösch um einem Gastkommentar zum Stand der Dinge und das schwindende Vertrauen in deutschsprachige Übersetzungen gebeten. Foto: Polly Schroiff.


Übersetzungen haben keinen guten Ruf und daran sind sie selbst schuld. Das heißt natürlich nicht die Übersetzungen, sondern die Verlage, die sie in Auftrag geben. Es ist noch nicht lange her, da wurden vor allem im Bereich Unterhaltungsliteratur echte Textverbrechen produziert. Viele Krimis aus den achtziger Jahren lesen sich wie von Google Translate ausgespuckt, dabei gab es das damals noch gar nicht. Aber das lag in der Natur der Sache, denn gute Übersetzungsarbeit kostet Sorgfalt und Zeit und die wollte niemand bezahlen. Die Verlage nicht und auch die Leser billiger Bahnhofsbuchhandlungsware nicht. Daran hat sich nicht wahnsinnig viel geändert. Übersetzungen werden heute kaum besser bezahlt, zum Glück sind sie aber vor allem dank der unermüdlichen Anstrengungen der Verbände deutlich besser im Gespräch. Es wird inzwischen hingeguckt, es gibt ein paar Stipendien und Förderungen, Tropfen auf den heißen Stein, aber besser als nichts. Außerdem verbreitet Unterhaltungsliteratur keinen ganz so schlechten Geruch mehr wie damals. Offenbar hat man hier und da begriffen, dass auch sie gut übersetzt sein muss, um überhaupt unterhalten zu können, und so sind heute die allermeisten veröffentlichten Übersetzungen ausgezeichnet – unabhängig vom Genre. Trotzdem wollen viele keine Übersetzungen lesen. Aus dem Japanischen werden sie noch gerne genommen, aber bei solchen aus dem Englischen heißt es oft: »Ich lese lieber das Original.« Darin klingt an, eine Übersetzung wäre irgendwie etwas Falsches oder Unechtes. Ein leidiger Krückstock und auf jeden Fall ein Weniger. Aber das ist ein Irrtum, denn eine gute Übersetzung ist immer ein Mehr: eine Transformation und Interpretation, eine Präzisierung, ein neues Kleid in neuen Farben, eine Coverversion mit erstaunlichen Zwischentönen und innovativen Basslines. Sie wurde von einer Person geschaffen, die sich so intensiv wie außer ihr nur die Autor:in mit dem Text auseinandergesetzt hat, anders als letztere aber mit Abstand und kühlerem Kopf, aus einer vielleicht unbefangeneren Perspektive. Im Bereich der Unterhaltungsliteratur bedeutet das ganz banal, dass der Text zweimal häufiger lektoriert wurde (von der Übersetzer:in und der Lektor:in), Wortwiederholungen, Unstimmigkeiten und Anschlussfehler wurden dabei beseitigt. Eine Übersetzung ist immer doppelt abgeklopft, doppelt geprüft, doppelt verfeinert. Sie ist die Prinzenrolle und das Original bestenfalls ein Butterkeks.

Spätestens seit Netflix können alle Englisch. Eine Sprache einigermaßen sprechen und verstehen oder aus dieser übersetzen, sind aber zwei sehr verschiedene Dinge. Wer nicht von klein auf bilingual aufgewachsen ist, macht sich beim Lesen automatisch zur Übersetzer:in, muss sich bemühen, Feinheiten, Assoziationen, Bedeutungen und Bezüge zu erfassen und sich überlegen, wie diese in der eigenen Sprache klingen und schwingen. Das kann man natürlich auch lassen, aber dann bleibt die Lektüre eher oberflächlich. Dann begnügt man sich mit weniger und bekommt auf keinen Fall mehr. Die im Original vermutete und erhoffte »Echtheit« geht einem beim Überlesen der Subtilitäten und Wortspiele durch die Lappen, vielleicht ist sie da, aber man findet sie nicht. Sie ist lost without translation.

Natürlich muss man seiner Übersetzer:in vertrauen. Ich glaube ja auch nicht jeder dahergelaufenen Autor:in irgendwelche Geschichten und lasse mir nicht von irgendwem einen Roman auf die Nase binden. Ich lese bestimmte Autor:innen, weil ich ihre Bücher schätze und sie mich fesseln, begeistern oder schlauer machen. Ich lese sie immer wieder und manchmal entdecke ich auch welche. Genauso sollte es mit Übersetzer:innen sein. Man hat seine Lieblingsautor:innen und sollte sich seine Lieblingsübersetzer:innen suchen – und dabei nicht vergessen, ab und zu auch noch neue zu entdecken.

Conny Lösch lebt in Berlin und übersetzt seit vielen Jahren aus dem Englischen unter anderem Bücher von Don Winslow, Ian Rankin, Paul McCartney, Bob Dylan, Jon Savage und Viv Albertine.