In Europa erwarten wir eigentlich nicht, dass die Forschenden selbst in der Öffentlichkeit auftreten. Und wenn sie es im Interview doch einmal tun, hoffen wir, dass jemand das gerade Gesagte noch einmal allgemeinverständlich übersetzt. In den USA dagegen gehört Wissenschaftskommunikation zum Kerngeschäft der Forschenden selbst. Dafür gibt es gute, problematische und schlechte Gründe. Foto: privat.


Die guten liegen auf der Hand. Denn natürlich sollten diejenigen, die Forschung betreiben, dazu qualifiziert sein, diese auch akkurat darzustellen. Dazu wird an den amerikanischen Universitäten auch mehr Gewicht auf gute Lehre gelegt, und gute Lehre ist mit guter Kommunikation verbunden. Jeder Hörsaal ist eine kleine Öffentlichkeit und übt die Lehrenden in klarer Kommunikation. Und dann ist der Weg zu den klassischen und neuen Medien nicht weit.

Zu den problematischen Gründen gehört die Spaltung der amerikanischen Öffentlichkeit. Wissenschaftler müssen hierzulande inzwischen regelmäßig als Verteidiger der Wissenskultur auftreten, um Propaganda, Verschwörungstheorien und grobem Unsinn entgegenzutreten. Ja, Donald Trump hat wirklich vorgeschlagen, dass die Injektion von Desinfektionsmitteln gegen COVID helfen würde (23. April 2020). Bis vor einigen Jahren hätte ich vermutet, dass derartige Desinformation in Europa seltener sei, doch die Verschwörungstheorien der Corona-Krise haben mich eines anderen belehrt. Wissen und Wissenschaft sind auch in Europa gefährdet. Wissenschaftskommunikation ist Gebot der Stunde.

Aber es gibt auch schlechte Gründe. Wissenschaftskommunikation fällt für die Forschenden unter den Bereich der Eigenwerbung und Selbstvermarktung. Auch unter Forschenden gibt es Gerangel um den Platz unter der Sonne der Öffentlichkeit. Es ist inzwischen etwa bekannt, dass Arbeiten, die auf Twitter verbreitet wurden, mehr wissenschaftliche Zitate bekommen. Also tun das die Lehrenden nun selbst und umwerben sich vielfach. (Damit wird auch der Zitierindex, falls er jemals aussagekräftig war, absurd, da er zu einem nicht unerheblichen Maße eben nicht die Qualität der Arbeit, sondern das Ausmaß der Selbstvermarktung misst.) Für die Forschenden hat dies den Effekt, dass sie sich am liebsten den Projekten zuwenden, die besonders öffentlichkeitswirksam sind. Das steigert die Chancen auf Drittmittel.

Wissenschaftskommunikation wird in Nordamerika massiv von den Universitäten gefördert und betrieben. Professoren bekommen höhere Gehälter. Die Universitäten beschäftigen viele Fachleute, die den Forschenden bei der Platzierung ihrer Artikel helfen. Das passt zur Struktur der US-Universitäten, die stets um Aufmerksamkeit buhlen, um die besten Studentinnen für sich zu gewinnen und Drittmittel anzuziehen. Universitäre Wissenschaftskommunikation ist mithin längst mittels des Marketings und also Wettbewerbs.

Im deutschsprachigen Raum gibt es viele großartige Journalisten im Wissenschaftsbereich. Doch die Forschenden selbst erregen immer noch einen Verdachtsmoment unter Kollegen: man oder frau sei halt als Wissenschaftler nicht großartig, daher jetzt die Medienarbeit. Am besten fahren da »zufällige« Medienstars, denen die Aufmerksamkeit mehr wie ein Unfall zuzustoßen scheint. Wer als Forschender selbst aktiv Medien- und Öffentlichkeitsarbeit betreibt, ist dem Vorwurf der Mangelhaftigkeit ausgesetzt. Das Wort Populärwissenschaft ist immer noch Schimpfwort. Ein bisschen mehr Toleranz wäre da zu wünschen: Gute Kommunikation darf nicht zum Vorwurf werden.


Fritz Breithaupt (Jahrgang 1967) ist Provost-Professor für Kognitionswissenschaften und Germanistik an der Indiana University in Bloomington (USA). Dort leitet er das Experimental Humanities Lab. Zu seinen neueren Veröffentlichungen auf Deutsch gehören »Das narrative Gehirn« (2022, Wissenschaftsbuch des Jahres 2023), »Die dunklen Seiten der Empathie« (2017) und »Kultur der Ausrede« (2013).

Fritz Breithaupt
Das narrative Gehirn. Was unsere Neuronen erzählen.
Suhrkamp, 368 S.