Ein deutscher Kultur-Journalist lädt zur großen Parade aller Engagierten, Empörten und Inspirierten, die unsere Welt von der Basis her gestalten wollen. Illustration: Shutterstock.


Klimaschutz-Demonstrant/innen, feministische Aktivistinnen, Freunde der Cancel Culture (und John Cleese mit seinem Gegenprojekt »Cancel me«), künstlerische »Artivist:innen«, Sittenwächter:innen wider die kulturelle Aneignung, Arbeits-Aktivisten der DDR, »Faktivisten« die im Gefolge Hans Roslings »Factfulness« die statistischen Tatsachen als Leitfaden für die Welt propagieren: sie alle gibt es hier zu sehen und zu lesen. Von den basispolitisch Bewegten der ersten Stunde, die schon am »Gesamtdeutschen Aktivisten-Kongress« 1919 für den »Kampf gegen die Waffe, Abschaffung der Wehrpflicht, Arbeitspflicht und Berufszwang, Sexualfreiheit« eintraten, bis zum aktuellen »Aufstand der letzten Generation« spannt sich der Bogen. Zu Beginn läutet Knut Cordsen eine neue Ära ein: »Jeder Schauspieler, der etwas auf sich hält, inszeniert sich neuerdings ganz natürlich als Aktivist. Man engagiert sich nicht nur, man ist kampagnenfähig. Man beherrscht den öffentlichen Diskurs. Der Aktivismus ist ein flächendeckendes Phänomen geworden.«

Cordsen hat Kommunikationswissenschaft, Politologie und Soziologie studiert und arbeitet seit langem in den Kulturredaktionen des Bayerischen Rundfunks und der ARD, wo er sich vor allem mit Literatur und der deutschen Sprache auseinandersetzt. In seinem Sachbuch-Debüt gelingt es ihm, in klaren Worten deutlich zu machen, wer da was ändern und wen damit erreichen will. Auch die Effektgrößen der jeweiligen Bewegung erschließen sich gut. Zum Leitstern der alternativen Weltgestaltung wie »Fridays for Future« schaffen es bei weitem nicht alle. Die »ARGE Dicke Weiber« oder auch der durchaus ansprechende »Pleasure Activism«, der eigenes Wohlbefinden als Voraussetzung der weiteren Weltverbesserung sieht, verfügen über deutlich geringere Reichweiten.

Leicht wie ein Spaziergang fällt dieser in einfachem klarem und manchmal auch ironischem Ton geführte Rundkurs durch die verschiedenen Themenräume. Plastisch dargestellt sind die Proponenten und ihre Programme. Und doch wollen sie nicht so recht lebendig werden. Anekdoten über einzelne Aktivist/innen abseits ihres öffentlichen Wirkens oder auch über deren Vernetzungen finden sich wenig. Die zwangsläufig auszufechtenden Scharmützel zwischen unterschiedlichen Gruppen über das Wie der fraglos fälligen Veränderung werden zwar angedeutet, aber nicht so weit ausgeführt, dass hier Geschichte in Geschichten entstünde. Vielleicht liegt das auch einfach an dem sehr überschaubaren Raum, den sich der Autor für diesen schlanken Überblick genommen hat. Wer in den letzten 100 Jahren was bewegen wollte, wo Aktivismus heute steht, und wie er sich weiterbewegen könnte, das hat Cordsen zu einem präzisen Panoptikum zusammengefasst.

Knut Cordsen
Die Weltverbesserer
Wie viel Aktivismus verträgt unsere Gesellschaft?
Aufbau, 144 S.