Mit einer starken Polemik lässt aktuell der gebürtige Wiener Fabian Burstein, zurzeit Leiter des Kultur- und Veranstaltungsprogramms der Deutschen Bundesgartenschau 2023, aufhorchen. Sein Buch »Die Eroberung des Elfenbeinturms. Streitschrift für eine bessere Kultur« adressiert er an die österreichische Kulturbubble und richtet darin eine Vielzahl gravierender Vorwürfe gegen die Kulturnation Österreich. Foto: Stefan Tauber.
Hohe Kulturposten würden verschachert, es grassierten Machtmissbrauch und Korruption, obendrein sei die Jugend himmelsschreiend unpolitisch – das Bild, das Burstein zeichnet, ist drastisch. Im Interview mit Buchkultur spricht Burstein von seiner Motivation, dieses Buch zu schreiben, von seinen eigenen Erfahrungen im In- und Ausland und von Lösungsansätzen, die umzusetzen eigentlich gar nicht so schwer wäre.
Buchkultur: Die österreichische Kulturlandschaft ist in der Krise, schreiben Sie in Ihrem neuen Buch »Die Eroberung des Elfenbeinturms«. Herr Burstein, Sie sind in Wien geboren. Wann hatten Sie denn die ersten Berührungspunkte mit dieser Kulturlandschaft?
Fabian Burstein: Beruflich war mein Einstieg in die Kulturszene über das Schreiben für Kulturmagazine – mit einem Umweg über das Werbetexten, sonst hätte ich mich nur von Nudeln und Reis ernährt. Ich habe früh auch begonnen, selbst zu veranstalten, Konzerte, Lesungen etc. Durch diese beiden Bereiche, das Schreiben über Kultur und das Veranstalten habe ich Lust bekommen, die Welt zu etwas Besserem zu machen. Das ist keine Koketterie, daran glaube ich bis heute: Dass man mit Kultur die Welt besser machen kann. Damit das gelingt, muss man möglichst in eine Position kommen, in der man gestalten bzw. gestalten möglich machen kann. Mein Weg führte also zwangsläufig ins Kulturmanagement. Man wollte mir – einem Ende 20-Jährigen – in Wien aber kein Kulturzentrum überlassen. Deshalb bin ich nach Deutschland gegangen und habe dort auch prompt die Leitung eines Kulturzentrums in Mannheim übertragen bekommen, zog dann weiter nach Ludwigshafen. Aus familiären Gründen bin ich später wieder nach Wien zurückgekehrt. Dann aber hat mich erneut der Ruf aus Mannheim ereilt und ich habe die künstlerische Leitung der Bundesgartenschau 2023 übernommen. Das Schreiben ist immer ein enorm wichtiger Teil meines Lebens geblieben. Das was ich tue und woher ich komme – Publizistik und Kultur – findet jetzt in einem Buch zusammen.
Ich meinte eigentlich gar nicht beruflich, sondern privat. Wann kamen Sie als Konsument mit Kultur zum ersten Mal in Berührung? Stammen Sie aus einem Umfeld, in dem Kulturerleben wichtig war?
Ich bin im vierten Wiener Gemeindebezirk aufgewachsen und bin mit Kultur sozialisiert worden. In Museen war ich von Kindesalter an. Mein Großvater, Tischlermeister und Innenarchitekt, ist oft mit mir ins Museum gegangen. Als ich begonnen habe, regelmäßig ins Theater zu gehen, war ich circa 14 Jahre alt. Die Peymann-Ära hat mich atmosphärisch extrem geprägt, auch wenn ich damals noch keine Ahnung von den Strukturen hatte, über die wir heute sprechen. Früh habe ich Popkultur aufgesogen, früh auch schon selbst Musik gemacht, in Bands gespielt. Ich erinnere mich auch an die Container-Aktion von Schlingensief, »Ausländer raus«, da war ich jeden Tag nach der Schule zu finden. Zu diesem Zeitpunkt habe ich die Gesellschaftswirkung von Theater erfahren. Bei uns zuhause wurde immer viel über Kunst und Kultur gesprochen.
Wenn man Ihr Buch liest, ist von einer Eroberung des Elfenbeinturms nicht viel zu spüren. Man hat eher das Gefühl, Sie wollen alles sprengen – woher kommt das Bedürfnis nach starker Systemveränderung?
Ich arbeite mit brennendem Herzen. Ich glaube an die Wirkmacht von Kulturpolitik. Wenn ich daran denke, was während dem schmerzlichen Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg in den 1960er und 1970ern auch im Kulturbereich für unglaubliche Arbeit geleistet wurde, da bekomm ich Gänsehaut. Wenn ich dann auf die heutige Kulturlandschaft blicke, bekomm ich eine totale Wut! Was für ein belangloser Amüsierbetrieb präsentiert sich uns da in ganz vielen Ecken in Wien? Als Popkulturfan amüsiere ich mich zwar gerne, aber wenn man auf die österreichische Kulturszene blickt, hat man sich da von jeder strategischen Logik entfremdet. Und dass sich mit den Intendanten die grundlegende Ausrichtung des jeweiligen Hauses verändert, das ist mir unbegreiflich. Das find ich so ungeheuerlich, dass ich böse werde!
Moment. Wieso soll sich mit einer Intendanz nicht die Ausrichtung eines Hauses ändern? Sie fordern doch auch in Ihrem Buch von Intendanten eine klare politische Haltung ein, ja eigentlich sogar ein Einmischen in Tagespolitik!
Politik muss immer den Rahmen vorgeben: in welcher Zielgruppe, in welchem Segment ein Haus wirken soll. Dass muss sich natürlich aus der Wechselwirkung der anderen Häuser, aus dem Zeitgeist und der gewachsenen Sozialisation eines Hauses konstituieren. Für mich ergibt sich eine Kulturlandschaft aus einer Vielzahl an Kulturorten, die alle verschiedene Funktionen haben. Diese müssen politisch ausgestritten werden, also im Kulturausschuss des Gemeinderates diskutiert werden. Die Aufgabe des Intendanten ist es, diese Funktion mit künstlerischem Leben zu füllen. In Österreich ist es aber so, dass die Häuser im Wesentlichen den Leitungsfiguren überlassen werden.
Haben Sie ein Beispiel dazu?
Ja sicher, zwei: Volkstheater und Kunsthalle. Die Kunsthalle Wien ist ein Volldesaster. Da wurden bei der Bestellung der Leitung mit Buzzwords die üblichen Beteiligungsfantasien angeregt. Die Kunsthalle präsentiert sich jetzt als absolut abgehobener und gesellschaftlich irrelevanter Ort der Kunst. Ich möchte nicht sagen, dass die Produktionen der Kunsthalle schlecht sind. Sie interessieren nur niemanden und verändern so nicht die Stadt. Die Funktion der Kunsthalle wäre, ein Reallabor zu sein, das in die Stadt wirkt. Aber das ist kein Freibrief dafür, keine Auslastung zu haben, was in der Kunsthalle der Fall ist. Ich spreche von einem Mindestmaß an Relevanz und Kunstansprache, das es zu definieren gibt. Im Fall der Kunsthalle wird es unterschritten. Warum das Haus so vergeben wurde? Vielleicht ist das auch ein Briefingproblem.
Und das Volkstheater?
Dass am Volkstheater jemand mit einer tollen ästhetischen Vita am Zug ist, steht außer Frage. Es geht mir wirklich an keiner Stelle darum, die künstlerische Arbeit schlecht zu machen. Die eingeschriebene Funktion des Volkstheater ist aber, einer Klientel, die nicht der Hochkultur-Klientel entspricht, durch gut gemachtes in seiner Kritik avantgardistisches, aber gut verständliches Theater etwas zu bieten und sie in den Kulturbetrieb bringen und dort zu halten. Das Volkstheater so zu führen, als gäbe es in Wien kein Schauspielhaus – das ist ja absurd. Dass das nicht funktioniert, zeigt auch die Auslastung zwischen 40-50 Prozent in einem neu renovierten Haus, wo normalerweise Leute reinströmen, allein schon um zu sehen, wie es nach der Renovierung aussieht.
Der Fairness halber sollte man schon erwähnen: Das Volkstheater hat mitten in einer Pandemie zwischen Lockdowns eröffnet. Aber lassen Sie uns das große Bild in den Blick nehmen: Sie sind ein Insider des österreichischen Kulturbetriebs, der hier nicht zum Zug kam und seine Erfolge im deutschen Kulturbetrieb einfährt. Sie könnten sich zurücklehnen und in Deutschland Ihre Arbeit machen. Was war denn nun der Auslöser, so eine Polemik zu schreiben?
Ich bewege mich seit 20 Jahren in dieser Branche, zehn davon trage ich Verantwortung für große Kulturinstitutionen. Ich musste immer geradestehen und war einem harten Wettbewerb ausgesetzt. Man kann mir nicht nachsagen, dass ich nur Berufskritisierer bin, ich habe mich auch zur Genüge selbst kritisieren lassen. Als ich nach Wien zurückgekehrt bin, hatte ich das Gefühl, es ist alles wesentlich schlechter, als ich es zehn Jahre zuvor verlassen hatte. Die Ämterkorruption ist brutal – da zieht es einem zum Teil die Schuhe aus. Das war der Moment, in dem ich mir gedacht hab, ich muss das kompakt in einem nicht-tagesjournalistischen Kontext aufarbeiten. Damit eine Diskussion beginnen kann und eine Renaissance in Fahrt gesetzt wird. Im Wissen: Mit dem Buch setze ich mich dem Risiko aus, dass ich in Österreich nun endgültig abgemeldet bin.
Und an wen sollte sich diese Aufarbeitung richten? Was erhoffen Sie sich davon?
Ich wollte die Kulturbubble adressieren. Zum einen natürlich alle, die professionell mit Kultur zu tun haben. Ich wünsche mir aber auch, dass alle Menschen, die nur im Entferntesten an Kultur interessiert sind – also auch die, die nur zweimal im Jahr ins Theater gehen – dieses Buch lesen. Ihnen möchte ich vermitteln, dass es nicht ihre Schuld ist, wenn sie sich in Kulturinstitutionen nicht zu Hause fühlen – und dass man auch als Publikum etwas fordern darf. Mein Buch richtet sich aber auch an eine mediale Öffentlichkeit, von der ich mir wünschen würde, dass sie ihre Funktion nicht nur in der Kritik sehen, sondern starken kulturpolitischen Journalismus machen. Gäbe es eine starke Lobby für die Kultur, die auch mal auf die Straße geht, wäre so etwas wie ein Kulturlockdown gar nicht möglich gewesen.
Mit der Aktion »Alles dicht machen« haben zumindest einige Protagonist/innen versucht, so eine Lobby zu sein. Schauspielerinnen und Schauspieler aus Deutschland und Österreich haben ironische Videos gegen die Corona-Maßnahmen online gestellt. Der Schuss ging allerdings gründlich nach hinten los, man hat sich der Narrative der Schwurbler/innen bedient und damit vor allem Vertreter/innen des rechten Rands angesprochen. Wie haben denn Sie die Aktion wahrgenommen?
Sehr ambivalent! Es haben sich Menschen daran beteiligt, die ich sehr schätze und von denen ich überzeugt bin, dass ihre ursprüngliche Intention da mitzumachen, nicht die war, für die die Aktion dann stand, zum Beispiel Manuel Rubey. Darüber hinaus war ich aber auch entsetzt, dass etwas, das aus der Kulturszene kommt, so ein zynischer Verhöhnungshumor ist, der im Grunde keine substanzielle Kritik am Umgang mit Kultur übt, sondern die Krise als Bedeutungsverlust und Unterbinden kritischer Öffentlichkeit im kulturellen Rahmen wahrnimmt. Die Einzelmaßnahmen sind da nicht im Vordergrund gestanden – doppelt ärgerlich. Auch rund um das Thema Cancel Culture erleben wir, dass Kultur sich in der Öffentlichkeit als bizarres Idiotentheater diskreditiert. Dabei liegen hier alle wichtigen Themen am Tisch, die jetzt auch in aller Brutalität verhandelt werden müssen. Kultur stellt sich im Zuge dessen einem sehr schmerzlichen Diskussionsprozess, das meine ich explizit positiv. Was geht, was geht nicht, das wird brutal verhandelt. Teile sind berechtigt, manchmal wird es irrational, manchmal schießt einer übers Ziel. Ich finde das alles normal und wichtig. Irgendwann werden wir den richtigen Weg daraus finden. Das Schwierige ist aber, wenn der Kulturbetrieb von allen Ecken verhöhnt, ausgelacht wird – da müssten wir vielleicht ein bisschen schärfer zurückschießen und sagen: Lasst uns doch in Ruhe streiten!
Apropos Streiten: Sie nehmen nicht nur die Kulturlandschaft in die Mangel, sondern scheren die Bildungslandschaft auch gleich über den Kamm. Zunächst orten Sie eine Ideologie-Krise der Politik, die sich in die Kulturszene übertragen hätte und stellen darüber hinaus eine Ent-Ideologisierung der Jugend fest. Im Buch schreiben Sie konkret:
»Sie (Die Jugend, Anm.) brennt nicht für den Humanismus, der unsere Kultur, Bildung, Freiheit, Gerechtigkeit beschert hat. Sie brennt nicht für fundamentale Grundrechte – ihr Recht auf freie Meinungsäußerung, ihr Recht auf sinnstiftende Bildungsangebote, ihr Recht auf Chancen am Arbeitsmarkt. (…) Sie brennt nicht auf ihr Recht auf kulturelle Teilhabe und auf kulturelle Bildung im Schulsystem, obwohl das Recht auf das Thema Kultur in der Verfassung verankert ist. (…) Sie brennt nicht für ihr Recht, sich in Austausch mit anderen Kulturkreisen zu begeben, sie brennt schon gar nicht für ihr Recht, in politische Meinungsbildungsprozesse eingebunden zu werden und dafür die nötigen Grundvoraussetzungen mit auf den Weg zu bekommen.«
Wir haben doch eine Generation, die jeden Freitag auf die Straßen geht, um für eine gerechte Klimapolitik zu kämpfen. Wie kommen Sie darauf, dass es sich um eine unpolitische Generation handelt?
Das sind Beobachtungen, die ich mache. Ich feiere die Jugend ja, aber sie ist relativ unpolitisch. Fridays for Future ist ein sehr punktuelles Phänomen – zwar breit in der Wahrnehmung, aber im konkreten Aktivismus extrem punktuell. Es ist keine Bewegung, die bisher etwas umgestürzt hat. Auch der Veränderungsdruck aus dem studentischen Milieu ist de facto nicht vorhanden. Ich erkenne bei der Jugend Ehrenamt, Engagement, Freizeitgestaltung, Kreativität, Ideenreichtum, aber kaum politischen Druck, den ich für wichtig halte. Politik ist nichts anderes als das große Ganze zu seiner Aufgabe zu machen. Diese Schlagseite fehlt mir.
Was hat nun die vermeintlich unpolitische Jugend mit der Eroberung des Elfenbeinturms zu tun?
Die Argumentationskette schließt sich so: Wenn wir neues Publikum wollen, das die Eroberung des Elfenbeinturms herausfordert und exekutiert, müssen Grundvoraussetzungen erfüllt sein. Daher widme ich mich dem Thema Jugend und Bildung explizit. Die, die nachrücken, müssen helfen, ich bin ja auch langsam ein grauer Panther. Wir werden uns schwertun, für Inhalte zu werben, die auch nachrückende Generationen interessant finden, wenn sie uns nicht helfen. Und das wiederum hängt daran, dass wir dafür nicht die Rahmenbedingungen geschaffen haben. Dafür ist nicht beispielsweise ein Theater zuständig, sondern das Bildungssystem – Kindern die Säulen der Demokratie näherbringen und sie Positionen entwickeln lassen.
Wofür ist denn ein Theater dann zuständig? Und was ist die Aufgabe der Kulturmanager/innen in diesem Gefüge?
Kulturmanagement ist eine Dienstleistung. Erstens für die Gesellschaft. Zweitens auch auf kulturpolitischer Ebene: Ein/e Kulturmanager/in muss die Funktion erfüllen, die ihm/ihr kulturpolitisch zugeschoben wurde. Drittens, eine Dienstleistung ans Publikum. Dass ich es mit Themen versorge, mit Denken, Aufwühlung, Verwerfungen, die etwas verändern. Viertens: eine Dienstleistung an Menschen, die in diesen Institutionen arbeiten. Ich muss mich nicht als irrer Despot verhalten, dass etwas Geiles rauskommt.
Zur Aufgabe der Kultur zitieren Sie Claus Peymann: Theater solle eine moralische Anstalt sein. Zuerst listen Sie seitenweise Vorwürfe gegen Intendant/innen, Direktor/innen etc. auf, von Machtmissbrauch bis Veruntreuung, appellieren wortreich an die Rückbesinnung auf die eigentlichen Kernaufgaben der Kultur und dann zitieren sie just einen, der sich unlängst erst rühmte, er wäre trotz seiner Brüllereien bei den Proben geliebt worden, und dessen toxische Arbeitsweise in einer Intendantenbeschimpfung postwendend erneut offengelegt wurde. Ist das nicht zynisch?
Die wahre Antwort ist: Ich finde das Zitat von Peymann so saugut, dass ich nicht daran vorbeigekommen bin. Er ist eine ambivalente Person, den Vorwurf muss ich mir gefallen lassen. Meiner Meinung nach hat er große Dienste getan. Aber es ist mir aber völlig klar, dass das kritikwürdig ist. Stand heute ist: Es muss das Gesamtpaket stimmen, mit dem, was wir heute wissen, ist missbräuchliches Verhalten gegenüber Mitarbeiter/innen auch in einem künstlerischen Prozess nicht akzeptabel. Es steht außer Frage, dass gewisse Regisseur/innen nicht beschäftigt werden dürfen, wenn sie sich nicht entsprechend verhalten.
Über weite Teile hinweg beschäftigen Sie sich mit der Besetzung von Führungspositionen in österreichischen Kulturinstitutionen. Woher haben Sie die Einblicke in die Prozesse?
Diese Scharaden bei Jobbesetzungen sind unglaublich. Ich habe es mir zum Sport gemacht, in Besetzungsverfahren reinzugehen, um das System zu verstehen. Man findet z. B. Ausschreibungen und denkt sich: »Interessant, wer ist das eigentlich?« Und kann dann Zusammenhänge feststellen, wo die Besetzung politisch motiviert war, obwohl diese Leute nie etwas mit dem Fach zu tun hatten. Das hat teilweise komödiantische Züge. Dann gibt es die größeren Kommissionen, mit Hearings, und sind so unangenehm, dass die Erklärungen im Nachhinein mit so einer peinlichen Berührtheit behaftet sind. Ich habe mir gut überlegt, was ich davon öffentlich erzähle.
Viele Namen nennen Sie und listen Vorwürfe, die größtenteils strafrechtlich nicht verurteilt wurden. Bei anderen wieder beschränken Sie sich auf Anspielungen, die aber ganz einfach zu entschlüsseln sind. Jede/r weiß beispielsweise, dass die Leiterin des Kunsthauses Wien Gerlinde Riedl heißt. Warum handhaben sie das so?
In meinem Buch steht nichts, was nicht genau nachrecherchiert wurde. Mir würden zehn Gerüchte einfallen, die ich erzählen könnte, aber das mach ich nicht. Reinen Gewissens kann ich sagen, dass in diesem Buch nichts klagbar ist. Wo ich Menschen schützen will, spreche ich Namen nicht aus. Auch ich bin Teil von Strukturen und kann nachvollziehen, dass man sich nicht jede Sekunde seines Berufslebens so verhalten kann, wie man denkt, dass es den höheren Zielen dient. Mit den Vorwürfen schreibe ich nur eine zeitliche Chronologie auf, die mir sagt, dass da etwas passiert ist, was so nicht geschehen darf.
Sie fordern transparente Verfahren bei den Postenbesetzungen. Haben Sie einen Vorschlag?
Für mich ist das ganz simpel, wir schaffen dieses Affentheater ab und sagen, wie es ist: Zwei Personen tragen die Verantwortung für die Besetzung der Position, der politische Verantwortliche und Aufsichtsratsvorsitzende. Diese beiden wählen das passende Verfahren: Man kann neu ausschreiben, man kann jemanden verlängern oder man schaut sich international um. Dann trifft man die Entscheidung und erklärt sie den Kontrollinstanzen bis ins letzte Detail.
Wie ist denn die Situation in Deutschland?
Der österreichische Weg ist dort wirklich kaum üblich. Ich arbeite in Mannheim in einem politiknahen Bereich und habe gute Einblicke. Das geht soweit, dass Kulturdezernenten oft per Ausschreibung gesucht werden und dann aus anderen Städten kommen. Undenkbar in Österreich! Aus reiner Naivität habe ich die Bürgermeisterin bei einer Ausschreibung einmal gefragt: »Und, wer wirds?« An ihrer Verwirrung – die Stelle wurde doch eben erst ausgeschrieben – habe ich bemerkt, wie ich eigentlich sozialisiert bin.
Ihr Buch strotzt nicht nur vor Polemik auf die Kulturszene und ihre existenzielle Krise, sondern auch vor Ideen, wie man sie bewältigen kann. Abgesehen von sehr skurrilen Ansätzen in der Bildungspolitik setzen Sie auch ein Manifest auf, das Sie »Applaus 2024« nennen. Die einzelnen Punkte klingen nach einem sehr großen Change Prozess. Womit würden Sie starten, wenn Sie alle Fäden in der Hand hätten?
Ich glaube, die Transformation ist gar nicht so groß. Wir müssen nur den Rappel in der Kiste aushalten, zu dem es kommt, wenn sich Dinge verändern und konsequent blieben. Am wichtigsten finde ich die Personalentwicklung: Wir müssen das richtige Personal finden und Schlüsselpositionen richtig besetzen. Wir haben in Wien nicht die richtigen Personen an der richtigen Stelle. Und: Es braucht ein vollkommen neues kulturpolitisches Milieu in den Parteien.
Fabian Burstein, geboren 1982 in Wien: Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Im Autorenleben Verfasser von Romanen und Sachbüchern. Biograf der österreichischen New Wave-Legende Hansi Lang. Seit 10 Jahren vorwiegend in Deutschland als Leiter für Kulturinstitutionen, Festivals und diverse künstlerische Formate verantwortlich. Aktuell Leiter des Kultur- und Veranstaltungsprogramms der Deutschen Bundesgartenschau 2023 in Mannheim und Geschäftsführer der Wiener Psychoanalytischen Akademie.
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Die Eroberung des Elfenbeinturms. Streitschrift für eine bessere Kultur
Edition Atelier, 168 S.