In dieser Neufassung von Dickens‘ Copperfield werden die großen Themen von Sucht, Arbeitslosigkeit und dem Versagen des Pflegesystems der USA in eine berührende und zugleich harte Geschichte verpackt.


Mit seiner Attitüde und seinen roten Haaren erhält Damon Fields früh den Spitznamen Demon Copperhead. Das klingt keinesfalls zufällig nach dem Dickenschen Original – Barbara Kingsolver hat einige Anleihen aus »David Copperfield« übernommen und sie gelungen in die Opioid-Epidemie der 1990er in der amerikanischen Region Appalachia im Bundesstaat Virginia übertragen.

Das Buch wird rückblickend aus Demons Perspektive erzählt und umfasst die turbulenten Jahre seiner Kindheit und Jugend. Seine drogenabhängige Teeniemutter lässt sich auf den falschen Mann ein, nach einer kurzen Ehe stirbt sie. Daraufhin betritt Demon das Pflegesystem der USA, das ihn mehrmals im Stich lässt. Er wird von Pflegefamilien ausgebeutet und geht zeitweise gar nicht zur Schule. Aber er steht alles durch. Immer wieder erfährt er auch Liebe und Sicherheit, wie in den Jahren bei Coach Winfield, in denen er zum Football-Star aufsteigt und Zeit mit seiner Pflegeschwester Angus verbringt. Und trotzdem ahnt man als Leser, dass das nächste Tief bevorsteht, denn Glück ist immer nur ein temporärer Zustand in Demons Leben.

»Es ist eher so, als würde ich jeden Tag einen Sack Kies mit mir rumschleppen. Wenn jemand das Thema [Trauer, Anm. d. Verf.] anschneidet, bin ich eigentlich immer ganz froh. Dann kann er mir ein paar Minuten lang helfen, den Sack zu schleppen«, sagt Demon einmal zu Angus. Und genauso fühlt sich die Lektüre auch an: Es ist schwer mitanzusehen, was Demon passiert und welche Entscheidungen er selbst trifft, Kingsolver taucht in ihrem fast 900 Seiten langen Text in Abgründe wie Drogenabhängigkeit, Arbeitslosigkeit und Einsamkeit ein. Die Last dieser schweren Motivik tragen Hauptfigur wie Leser/in gleichermaßen.

Seine Erzählung  – oder vielmehr Kingsolvers Schreibstil – ist schonungslos ehrlich, gleichzeitig aber auch unglaublich witzig. Als inzwischen junger Erwachsener, der auf sein bisheriges Leben zurückblickt, ist Demon zwar nicht immer ein zuverlässiger Erzähler, da Erinnerungen nie zuverlässig sein können, dennoch kommentiert er selbstironisch seine Fehler; gibt Einblick, dass noch Schlimmeres folgen wird; aber auch Hoffnung, dass am Ende vielleicht alles gut enden könnte.

Kingsolver erzählt mit ihrer Adaption von Dickens’ Copperfield bravourös eine gesellschaftskritische, aber auch unglaublich einfühlsame Geschichte. 2023 brachte ihr »Demon Copperhead« den Pulitzer Preis ein, mit der Begründung, ihr Roman spräche für eine neue Generation verlorener Jungs und all jener, die in wunderschönen, verfluchten Orten geboren würden, die zu verlassen sie sich nicht vorstellen könnten.

Barbara Kingsolver
Demon Copperhead
Ü: Dirk van Gunsteren
dtv, 864 Seiten