Janet Frames »Ein Engel an meiner Tafel« in einer Neuauflage: die Wiederentdeckung einer bedeutenden Autorin


Dank sei so manchem Jubiläum! Denn gäbe es nicht den 100. Geburtstag Janet Frames am 28. August 2024, wäre dann erwogen worden, ihren ergreifenden, ja aufwühlenden autobiografischen Band »Ein Engel an meiner Tafel« neu zu edieren? Um die Neuseeländerin Janet Frame (1924–2004) und ihre Bücher ist es seltsam still geworden. Vor einer Generation, im Jahr 1990, wurden ihre Bücher von vielen beachtet und gelesen. Damals verfilmte Jane Campion Frames Prosa und erhielt dafür mehrere international renommierte Preise, unter anderem den Großen Spezialpreis der Jury bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig. Die letzten Buch-Aufleben hierzulande datieren aber von 2013.

In »Ein Engel an meiner Tafel«, das erstmals 1984 als Mittelteil einer Trilogie erschien, berichtet Frame klar und luzid austariert vom Jahrzehnt 1945 bis 1956. Sie hatte ein Lehramtsstudium begonnen, dabei wollte sie eigentlich Autorin werden, und wurde nach einem – angeblichen – Suizidversuch in eine geschlossene psychiatrische Anstalt eingeliefert. Die dort erstellte medizinische Diagnose lautete: Schizophrenie. Daraufhin traktierte man sie ausdauernd mit Elektroschocks. Kurz bevor an ihr der damals noch gängige, sehr grausame Eingriff der Lobotomie durchgeführt werden sollte, die Zerstörung bestimmter Nervenbahnen in Hirnarealen, deren Folge stets eine massive Persönlichkeitsveränderung war, ein buchstäbliches Stilllegen von Emotionen und Eindrücken, entging sie diesem schaurigen Schicksal. Denn einer ihrer Operateure hatte zufällig erfahren, dass ihr erster Band mit Kurzgeschichten »The Lagoon and Other Stories« gerade mit einem wichtigen Literaturpreis ausgezeichnet worden sei. Frame später: »My writing saved me.«

Bis dahin war ihre Familienhistorie schaurig gewesen. Zwei Schwestern ertranken, ein Bruder war schwerer Epileptiker, ihre Kindheit war geprägt von einer endzeitlich-apokalyptischen Variante eines reanimierten Urchristentums. Durch all dies war sie äußerst verschüchtert, krankhaft scheu, hypersensibel.

1956 endlich war die klinische Tortur – sie war insgesamt 285 Elektroschocks unterzogen worden, umgerechnet fast jede zweite Woche – beendet. Infolge eines ihr zugesprochenen Reise-Stipendiums verließ sie Neuseeland, reiste nach Europa, hielt sich viele Monate auf Ibiza auf, bevor sie 1957 wieder in ihre Inselheimat zurückkehrte. Heute gilt sie als eine der eminentesten neuseeländischen Autorinnen der Moderne. Was nun wieder zu entdecken ist.

Janet Frame
Ein Engel an meiner Tafel. Eine Autobiographie
Ü: Lilian Faschinger
C.H.Beck, 288 S.