Wir sind nur eine Handbreit entfernt von dem Szenario. Sind wir? Was heißt hier Dystopie?
Bereits mit dem ersten Satz hat der Großmeister seine Leser/innen, beim zweiten Satz macht sich ein mulmiges Gefühl breit, eine ungute Ahnung, dass in Folge etwas schrecklich schief gehen könnte. Es kommt schlimmer. Den Kern des Plots könnte man als Familiengeschichte lesen – aber es ist T. C. Boyle, der erzählt, also ist es sehr viel subtiler, auch wenn es stimmt, dass Ottilie und Frank, die Eltern, und Cat und Cooper, die erwachsenen Kinder, eine Familie bilden.
Ottilie ist im Ruhestand, Frank arbeitet noch als Allgemeinmediziner, Cooper ist Entomologe, ein unwirscher Besserwisser, und Cat ist in erster Linie ein seichtes Bobo-Geschöpf, das die Tage im Versuch, eine supercoole Influencerin zu werden, in Cocktails ertränkt. Ihrem in völliger Verblendung angehimmelten Verlobten Todd gehört ein Tesla – und diesem seine Fürsorge –, sein Geld verdient er als Bacardi-Botschafter (sic! Und ja: der Rum). Im Grunde ist er ein arroganter Werbefuzzi, der für potentielle Kunden Saufpartys ausrichtet. Cat und Todd leben in Florida, im geerbten Strandhaus, supercool, die anderen aus Cats Familie sind in Kalifornien zu Hause. So weit ein hübsches Mittelklasse-Setting. Auch wenn es in Kalifornien never rains, dafür Florida absäuft. Auch wenn Ottilie rührende Versuche unternimmt, gut zur Umwelt zu sein. Auch wenn Cooper immer schon vor Insektensterben und Klimawandel gewarnt hat. Fulminant und beunruhigend schließt T. C. Boyle dort an, wo er mit »Ein Freund der Erde« (2000) begonnen, u. a. mit »Wenn das Schlachten vorbei ist« (2011), fortgesetzt hat. Ein must read, unbedingt.
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T. C. Boyle
Blue Skies
Ü: Dirk van Gunsteren
Hanser, 400 S.