Der französische Schriftsteller und Journalist Sorj Chalandon schreibt seine schmerzhafte Suche nach dem Vater fort.
Geheimagent, Jagdflieger, Berater de Gaulles: Die Liste der Berufe seines Vaters ist schier unglaublich. Doch dann erfährt der zehnjährige Sorj Chalandon von seinem Großvater, dass sein Vater nicht der Held war, als der er sich inszenierte, sondern während der Besatzungszeit »auf der falschen Seite« stand.
Jahre später, während des Prozesses gegen den ehemaligen Gestapo-Chef Klaus Barbie 1987 in Lyon (»Verräterkind« gedenkt der Kinder von Izieu, für deren Ermordung Barbie verantwortlich war), öffnet der Erzähler auch die Gerichtsakte seines Vaters, dem man nach dem Krieg Kollaboration mit den Deutschen vorwarf (im wirklichen Leben bekam Chalandon erst nach dem Tod seines Vaters Einsicht). Als Journalist ist er an der Wahrheit interessiert. Doch was sein Vater ihm da aufgibt, stellte 1945 schon den Richter vor ein Rätsel: 1940 meldete sich der Achtzehnjährige zur Französischen Armee. Er desertierte und musterte bei der vom faschistischen Vichy-Regime eingesetzten Légion tricolore an. Nach deren Auflösung arbeitete er für die NSKK, die Bau- und Transportabteilung der deutschen Armee. Er flüchtete wieder und schloss sich der Résistance an, um schließlich bei den Amerikanern vorstellig zu werden.
Der Vater – ein Blender, Chamäleon und Münchhausen, der die Uniformen wechselte wie Theaterkostüme, aber ein Gewand nie anlegte: das eines Vaters. Zum Verräter, so Chalandon, wurde der Vater nicht, weil er sich mit Irrwitz über die Zeitläufte jonglierte, sondern weil er ihn, den Sohn, Zeit seines Lebens darüber belogen hatte. Aber warum? Erschütternde, große Literatur.
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Sorj Chalandon
Verräterkind
Ü: Brigitte Große
dtv, 304 S.