Zukunftsthriller trifft Gesellschaftsroman: Sara Johnsens neuer Roman hat Diskussionspotenzial.


Fast zehn Jahre ist es her, dass man das literarische Debüt »White Man« der norwegischen Filmregisseurin Sara Johnsen auf Deutsch entdecken konnte. Nun liegt mit »Für Dancing Boy« ein neuer intensiver Roman mit viel Diskussionspotential von ihr vor.

Ich-Erzählerin Lizz führt in einem streng reglementierten, postpandemischen Norwegen der näheren Zukunft zusammen mit ihrem Mann Boje das Orgasmerie-Institut »Pure Pleasure«, in dem Menschen per Knopfdruck und richtig platzierten Elektroden in einer virtuellen Welt ihre sexuellen Wünsche ausleben können. Nebenbei versucht Lizz, ein harmonisches Familienleben zu führen, was durch die Launen ihres Mannes und die zunehmende Sorge um ihre introvertierte, autoaggressive und früh-pubertierende Tochter nicht so recht gelingen mag. Hilfreich ist da auch nicht, dass Lizz in einem Kunden des Instituts ihren Sohn, den sie einst sehr jung als staatliche Leihmutter geboren hat, wiederzuerkennen meint. »Für Dancing Boy« ist eine provokante und intensive Lektüre, Sara Johnsen weiß als ausgebildete Regisseurin auch beim Schreiben wie sie ihr Publikum fesseln kann. In diesem Buch trifft Zukunftsthriller auf Gesellschaftsroman, es werden Themen wie weibliches Begehren, Mutterschaft, Missbrauch, Öko- und Klimakrise zu einer intensiven, eindringlichen Lektüre verdichtet, die bestimmt niemanden kalt lassen wird. Erzählt ist die Geschichte in einem nüchternexpliziten Tonfall, der an mancher Stelle auch an die trocken-ironische Prosa einer Stine Pilgaard erinnert.

Sara Johnsen
Für Dancing Boy
Ü: Anja Lerz
Kunstmann, 344 S.