Roderick Beaton wirft einen neuen Blick auf die griechische Historie.


Über die Geschichte der Griechen gibt es schon meterweise Bücher. Diese konzentrieren sich indes auf wenige Epochen – vor allem auf die »klassische« Zeit, auf den Byzantinismus und, seltener, auf die Griechische Revolution. Wie diese Epochen aber zusammenhängen und was dazwischen geschehen ist, bleibt meist nur eine Randnotiz, bemängelt der britische Gräzist Roderick Beaton. Also hat er selbst eine umfassende Geschichte jener Menschen geschrieben, die seit mehr als 3000 Jahren kontinuierlich griechisch sprechen und schreiben – neben Griechisch gibt es interessanterweise nur zwei andere Sprachen, die auf eine so lange Tradition zurückblicken können, nämlich Chinesisch und Hebräisch.

Beaton arbeitet in seinem Buch heraus, dass Griechen zwar in unterschiedlichsten politischen und geografischen Konstellationen lebten und leben, es aber dennoch geschafft haben, eine unverwechselbare Identität aufrechtzuerhalten bzw. diese zu modifizieren oder neu zu schaffen. Genauer gesagt: Es handelt sich dabei um eine Kette unterschiedlicher, aber miteinander verbundener Identitäten. Diese Vielfalt begann schon in der Antike, in der es niemals ein einiges Griechenland mit einer einheitlichen Kultur gab, sondern eine Vielzahl von Stadtstaaten und Siedlungsgebieten, in denen verschiedenste Ausprägungen des »Griechentums« entwickelt und gelebt wurden. Ein zweites, damit zusammenhängendes Charakteristikum ist – und darauf deutet der Untertitel »Eine Globalgeschichte« hin –, dass Griechen in ihren jeweiligen Siedlungsgebieten und unter verschiedensten Herrschaftssystemen (etwa als Teil des Osmanischen Reichs) intensiv mit anderen Kulturen interagiert und zum Teil deren Sprachen angenommen, aber dennoch ihre Einzigartigkeit bewahrt haben. Heute leben Griechen laut Beaton in 141 Staaten auf allen Kontinenten – überall sind sie zwar hervorragend integriert, aber zeigen dennoch stolz ihre Herkunft und leben ihre Traditionen.

Ausgeprägte Identitäten haben freilich auch eine Schattenseite – nämlich Nationalismus. Auch dafür liefern die Griechen ein gutes Beispiel: Griechenland war in den 1820er-Jahren, als die Unabhängigkeit von Istanbul erkämpft wurde, der erste Nationalstaat moderner Prägung – in dem andere Identitäten, etwa slawische oder albanische, unterdrückt wurden. Bis heute sind viele Menschen bereit, für ihre Nation zu kämpfen – man denke an den Zypern-Konflikt oder den jahrzehntelangen Streit mit den südslawischen Nachbarn über die Bezeichnung »Mazedonien«. Dieser Aspekt kommt bei Beaton eindeutig zu kurz. Was aber nichts an der Faszination seiner integrativen Darstellung von 3000 Jahren griechischer Geschichte ändert.

Roderick Beaton
Die Griechen. Eine Globalgeschichte
Reclam, 605 S.