Messer, Schere oder Licht – taugen für wild-bizarr abgedrehte Beuschel-Krimis nicht: Zehn der fiesesten, blutrünstigsten und ungewöhnlichsten Opfer der Kriminalliteratur. Illustration: Jorghi Poll.


Ellery Queen: »Das ägyptische Kreuz« (1932)
Ein toter Mann, in West Virginia nicht wirklich selten. Aber ein toter Lehrer, ausgerechnet am Weihnachtsmorgen gekreuzigt, enthauptet und so an einen großen Wegweiser genagelt, dass die Leiche wie ein T aussieht, wie das Schriftzeichen »tau«, ein ägyptisches Kreuz? Und dann ist auch noch auf die Haustür des Toten ein blutiges T aufgemalt! Ellery Queen ist ratlos. Sechs Monate später wird auf Long Island eine zweite Leiche gefunden, enthauptet und gekreuzigt … und dann eine dritte. Der fünfte, blutige Ellery-Queen-Roman der klassischen Phase des Autors Ellery Queen, Pseudonym zweier Cousins aus Brooklyn, ist einer der abgefeimtesten Kriminalrätsel weit über die 1930er-Jahre hinaus.

Ron Goulart: »Brainz, Inc. An Odd Jobs, Inc. Novel« (1985)
Das gibt es auch nicht jeden Tag. Dass Jake Pace, bekanntlich der smarteste Detektiv der Welt, Besuch bekommt – von einer Leiche, Sylvie Kirkyard, 27, sehr gutaussehend. Und mausetot. Die aber dank eines prä-mortem eingepflanzten Computerchips wieder lebendig ist. Als Androidenwesen. Als Mordopfer wird sie zu Paces Auftraggeberin. Als Jake in diesem Fall, den der Anfang 2022 verstorbene, abenteuerlichst vielschreibende (180 Bücher!) Ron Goulart erdachte, zu ermitteln beginnt, wünscht er sich bald, selbst auch die Möglichkeit technologischer Wiederauferstehung zu haben. Der vierte Fall in der Reihe »Odd Jobs, Inc.«, von der vor 34 Jahren nur die ersten zwei Bände ins Deutsche übertragen wurden.

Charles Bukowski: »Pulp. Ausgeträumt« (1994)
Das letzte Buch aus der Schreibmaschine Charles Bukowskis war sein erster Krimi. Und sein letzter. Überhaupt sein letztes Buch. Und eine Hommage an den Noir in der engellosen Stadt Los Angeles. Wenn die Femme fatale bereits »Lady Death« heißt, das gesuchte Opfer der eigentlich seit Langem tote französische Romancier Louis-Ferdinand Céline – wozu sich noch drei Parallelfälle gesellen, darunter die Suche nach einem abgängigen Alien –, zudem der Diskont-Schnüffler Nick Belane nicht nur beim Namen Anklänge an Mickey Spillane, Erfinder des heute unerträglich superchauvinistischen Detektivs Mike Hammer, aufweist, dann ist man in einer Düsterwelt von Irrsinn, Tod, Sex, harten Dialogen und, ach ja, Bukowski.

Boris Starling: »Messias« (1999)
Nach zwei Büchern war bei deutschen Verlagen Schluss. Alles was nach »Storm« (2000) von Boris Starling, Enkel eines bekannten britischen Psychologen, erschien, ist auf Englisch zu lesen. Sein Debütroman »Messias« übertrifft diese, was den Faktor »Blut in Hektolitern« und »Leichen, möglichst ungustiös und noch mit warmen Innereien dargeboten«, präsentiert. Ein Kritiker meinte, verglichen mit »Messias« sei David Finchers Schocker »Seven« Kinderfasching. Starling führt in seinem Serienmörder-Roman etwa vor, wie Zunge und Silberlöffel Platz tauschen können. Auch wie Haut abgezogen wird von einem menschlichen Körper. »Messias« sollte man dringlichst vor der Lektüre in Metzgerpapier einschlagen.

Laura Lee Bahr: »Haunt« (2011)
Los Angeles. Eine Badewanne. Darin eine Tote, die sich die Arme aufschlitzte. Toter als tot. Oder doch nicht? Der dann ermitteln muss, heißt »you«, Du. Also ich. Oder doch nicht? Und dann gibt es, eh klar, ein die Zeit aufsaugendes Spiegelkabinett. Oder doch nicht? Opfer, Täter, Hollywood-Finale und Horrorhaus, ein Investigativreporter und eine irgendwie ins Verrückte verschobene, sich verschiebende Wohnung. Danielewski, Kurt Vonnegut und absurde Farce, drastische Komik und Bilder à la David Lynchs »Mulholland Drive«: Der Erstling der auf Fotos harmlos aussehenden Laura Lee Bahr ist ein »Urban Neo-Noir«-Roman, bei dem man nicht weiß, ob Bahr verdrogt war – oder ob man es beim Lesen selbst ist. Oder doch nicht?

Sean Ferrell: »Man in the Empty Suit« (2013)
Gut, es gibt zwei, drei Dinge, die schlimmer sind, als unsterblich zu sein. Bei Sean Ferrell kurvt ein Zeitreisender durch die Äonen. Jedes Jahr reist er zu seinem 100. Geburtstag ins Jahr 2071 in ein desolates New York. Alle Gäste im Hotelsaal: sind er und seine zahllosen Jahres-Abspaltungen und Zeitabschnittsklone. Allerdings begegnet er in dem Jahr, in dem er real 39 wird, seinem eigenen, etwas älteren Zukunfts-Ich – dem eine Kugel durch den Kopf gejagt wurde. Opfer, Ermittler und jeder Verdächtige ist bei Ferrell irrwitzigerweise ein und dieselbe Figur. Eine mit Erinnerungsschwächen, die die Zeitebenen durcheinanderwirbelt. Wer jemals erwägt hat, eine Zeitreise zu buchen, der lese zuvor dieses Buch.

Cody Goodfellow: »Repo Shark« (2014)
Ein Mann, der ein großes Hotel in den Wahnsinn treibt. Wüste Schlägereien mit einer hawaiianischen Hure. Explosionen à la Michael »Pearl Harbor« Bay. Bizarrste Sexualtechniken. Eine Aktentasche voller Kokain. Genug Schimpfwörter für zwei Leben. Damit sind wir auf Seite 11 von Cody Goodfellows »Repo Shark« angelangt. Und Kapitel 2 beginnt. Was Goodfellow Zef DeGroot aus Las Vegas, einen selbst akklamierten Ninja, der auf Hawaii ein Motorrad konfiszieren soll, zustoßen lässt, von einer debil-brutalen Bikergang zu Aggro-Papageien, von Magie zu einer kannibalistisch veranlagten Gottheit zu schierem Horror und wüsten Schießereien, kaum zu glauben: Wie abgründig vergnüglich und komplett durchgeknallt das ist!

Gabino Iglesias: »Zero Saints« (2015)
In Texas ist alles größer. Auch die Schultermuskulatur von Autoren. So bei Gabino Iglesias aus Austin, Texas, der mit »Zero Saints« tatsächlich ein neues Subgenre erfand, den »Barrio Noir«. Hochschuldozent und Gastprofessor in Texas und Arizona, schreibt er Extra-Bizarres. Und bringt zur selben Zeit Buchkritiken in seriösen Zeitschriften unter. Antiheld Fernando, ein kleiner, feiger Drogendealer und alles andere als ein unschuldiges Opfer, wird von noch böseren Gangster-Rivalen entführt, darf zusehen, wie ein Freund zersägt wird … und kämpft dann gegen eine Santeria-Priesterin, einen irren Popsänger, einen Russen, einen Hund-Menschen und etwas, das kaum mehr humanoid ist. Die beste Reisewarnung für Austin!

Michael Allen Rose: »Embry« (2017)
»Hard boiled«, abgebrüht. Kaum jemand hat das so wörtlich genommen wie Michael Allen Rose. Sein Hauptermittler: ein, kein Scherz, Ei-Embryo. Der runde und auch irgendwie menschenähnliche rot-weiße Held muss ermitteln. Weil das Königs-Ei mitsamt Rossen und Hofstaat mörderischerweise zu Rühr­ei zerschlagen und verzehrt wurde. Ei sei Dank verfügt unser Protagonist über so was wie Sporen. Immer tiefer und tiefer wird er in seine Recherche gezogen und eiert in eine bizarr böse Intrige um das berühmteste Ei aller Zeiten hinein. Dass Rose auch noch Bücher mit den sprechenden Titeln »Boiled Americans« und »Party Wolves in My Skull« schrieb, verwundert keine Sekunde lang. Darauf einen ­Eierlikör!

Jeff Jackson: »Destroy All Monsters. The Last Rock Novel« (2018)
Eine Killer-Epidemie wogt durchs Land: Hier und dort und überall werden in den USA Rockbands auf der Bühne erschossen, aus dem Publikum heraus, als sei es ein Zwang, dem zu gehorchen ist. Ein Täter, eine miteinander verbundene Sekte? Oder gibt es noch mehr, ja unzählige Nachahmer? Und was ist, neben der Musik, eigentlich der Grund für all das gruselig breitwandige Töten? Dieser in A- und B-Seite aufgeteilte Roman präsentiert Opfer, die vielleicht auch Täter sind. Jackson, ein Singer-Songwriter, der selbst in einer Band spielt, verkehrt herrlich raffiniert das System von Tag und Nacht, Unschuld und Zynismus, Freundschaft und Apokalypse, Hässlichkeit und noch viel, viel mehr Hässlichkeit.

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