Georges Simenon, Agatha Christie, Eric Ambler, Colin Dexter – es wimmelt wieder von Neuausgaben beliebter „Klassiker der Kriminalliteratur“. Funktioniert dieser Trend? Und wo liegen seine Tücken? Foto: Ruben Martinez Barricarte.


Foto: Christine Fenzl.

Ach, wär das schön. Ein bildungswilliges Publikum giert nach literaturgeschichtlicher Grundierung seines Lieblingslesestoffs, der Kriminalliteratur. Endlich kann man wissen, dass die Kriminalliteratur nicht mit Donna Leon angefangen hat oder mit Henning Mankell. Man ist süchtig danach zu erfahren, ob es neben Agatha Christie und Dorothy Sayers auch noch andere Autor/innen des Golden Ages gegeben hat oder ob Georges Simenon tatsächlich „der französische Kriminalroman“ in Person war. Beinahe könnte man auf diese abenteuerliche Idee kommen – die Geschichte der Kriminalliteratur als fast glitzernde Kette von Neuausgaben, ungekürzt, brillant übersetzt, sorgfältig ediert. Dazu gar noch ein paar Trouvaillen, Vergessenes, Übersehenes. So ein Trend würde sogar zur Urteilssicherheit über aktuelle Produktionen beitragen – man müsste nicht mehr dem PR-Geschrei glauben, jede Neuheit sei originell, innovativ, nie dagewesen. Welch süße Schwarmgeisterei!

Obwohl – ein bisschen was ist da schon dran: Die Gesamtausgabe von Ross Thomas beim Alexander Verlag, die Bemühungen um Charles Willeford (Alexander Verlag und Pulp Master), die Wiederentdeckung von James McClure (Unionsverlag), die Lamberti-Duca-Romane von Giorgio Scerbanenco bei Folio – das alles sind im Grunde ermutigende Signale. Die gigantische Simenon-Edition bei Kampa ist dabei sozusagen der Leuchtturm, scharf beobachtet, ob dieser Aufwand sich verlegerisch rechnen wird. Und wie viele neue Leserinnen und Leser sich mit solchen Re-Launches tatsächlich gewinnen lassen. Und ob sich im Leseverhalten viel geändert hat? Denn noch in den 2000er Jahren hatte ich mit Klassikern wie Chester Himes, H.R.F. Keating und den Modesty-Blaise-Romanen von Peter O´Donnell (bei metro) die Erfahrung gemacht: Der jeweils erste Band wurde von der Kritik jubelnd aufgenommen, die Verkäufe waren exzellent, Band zwei wurde von der Welle mitgetragen, bei Band drei wurde es zäher – und von da an ging´s bergab. Heute ist das Problem dazugekommen, dass der antiquarische Markt mehr als gesättigt ist, per Mausklick und zu sehr wohlfeilen Konditionen ist fast alles, was es je gab, zu bekommen.

Naja, nicht alles, vieles bleibt verschwunden, vieles ist gar nicht vorhanden. Und zwar ausgerechnet die Bücher und die Autor/innen, die auch schon damals ein „Minderheiten“-Programm waren, bzw. gar nicht als publikumsträchtig eingeschätzt wurden, wie etwa viele Romane des wichtigen französischen Autors Pierre Siniac.

Grob könnte man sagen: Was sich damals verkauft hat, verkauft möglicherweise auch heute noch. Was nicht, garantiert nicht. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite: Man kann in dem Trend zu Re-Launches auch den Rückzug auf „tradierte Werte“ sehen. Sicher ist es schön und behaglich, neben den alten zerfledderten Taschenbüchern heute adrette Agatha-Christie-Bändchen (bei Atlantik) stehen zu haben, die dann so zudem noch – ganz bildungsbürgerlich – in den milden Schein des Kanonischen rücken. Fein!

Nur bringt uns das nicht unbedingt weiter: Re-Launches belegen Programmplätze. Man kann mit ihnen nichts falsch machen. Sie sind, up to a point – nicht riskant. Man weiß, was man hat. Und man hat nun mal am liebsten das Immergleiche, gerne auch in neuer Verpackung.

Aber inzwischen ist Kriminalliteratur mutiert – sie hat in ihren avancierteren Exemplaren neue Ästhetiken, neu Erzählformen, neue Blicke auf die Welt entwickelt, denen man mit der Formel „Schema und Variation“ nicht mehr beikommt. Sowas verstört und stiftet Unsicherheit, „man weiß nicht so recht“. Und vergisst dabei gerne, dass auch Dashiell Hammetts „Rote Ernte“ im Jahr 1929 ziemlich verstörend war. Jetzt ein Klassiker. Und damit ein Fall für den x-ten Re-Launch.


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