Kazuo Ishiguro erzeugt auch als Nobelpreisträger dieses wunderbare Unbehagen. Foto: Frankie Fouganthin.


Manchmal wäre einem ja am liebsten, die Leute setzten sich zur Ruhe, sobald sie den Nobelpreis haben. Dann können sie auch nichts mehr kaputt machen. Nicht nur im Bereich Frieden, auch in der Literatur erwies sich die Angst vor dem Danach oft als berechtigt. Nun ist wieder Zeit, sich ihr zu stellen, denn Kazuo Ishiguro veröffentlicht erstmals seit seiner Auszeichnung 2017 ein neues Werk.

Wie so oft fordert der Brite das Wohlwollen jener heraus, die ihn eines bestimmten Romans wegen verehren. Zuletzt folgte auf einen Künstler-, ein Detektiv-, dann ein Science-Fiction-Roman und schließlich etwas, das tatsächlich als Fantasy bezeichnet werden musste. Der Neuling „Klara und die Sonne“ verblüfft seinerseits mit einer kindlich-esoterischen Prämisse: Eine künstliche Intelligenz, die gebaut wurde, um Kindern ihre Einsamkeit zu nehmen, harrt im Laden einer Käuferin. Aufgrund ihrer Beobachtungen durchs Schaufenster glaubt Klara fest an die nährende, ja heilende Wirkung der Sonne.

Auch wenn Mitglieder der Schwedischen Akademie sich vielleicht verstört die Augen reiben, gilt weiter, wie sie treffend beschrieben, dass Ishiguro „in Romanen von starker emotionaler Wirkung den Abgrund in unserer vermeintlichen Verbundenheit mit der Welt aufgedeckt hat“. Für die weniger akademischen Fans: Dienstbare Seele gleitet durch entmenschlichende Dystopie, oder „Was vom Tage übrigblieb“ trifft „Alles, was wir geben mussten“. Dem Autor gelingt eine erstaunliche Synthese aus seinen größten Hits. Obendrein kehrt Ishiguro nach „Der begrabene Riese“ zur Ich-Erzählung zurück, und seine Erzählerin ist sogar eine verhältnismäßig zuverlässige: Klara hat gelernt, die Daten ihrer Umgebung exakt aufzunehmen und zu deuten. Als die jugendliche Josie mit ihrer Mutter in den Laden kommt, soll Klara Josies Gang möglichst exakt nachmachen. Obwohl sie nicht der fortgeschrittenen Generation B3 angehört, brilliert sie und wird fortan die KF – künstliche Freundin – des gesundheitlich angeschlagenen Mädchens.

Der futuristische Schauplatz ist ein Amerika, das durch die Schilderungen von Leistungsdruck, Rang und Technisierung (auch natürlich in Kenntnis von Ishiguros Herkunft) von etwas Japanischem überlagert wird. Wir orientieren uns durch Klaras Augen immer ungenau genug, um gefesselt die Stirn zu runzeln, was hier eigentlich vor sich geht, und atemlos bis zum Ende durchzulesen. Dann, mit diesem mulmigen Ishiguro-Gefühl in der Magengrube, atmen wir auf. Obwohl dies ein äußerst unkonventioneller Roman für einen Nobelpreisträger ist: Derweil stehen keine Rückgabeforderungen an.

Kazuo Ishiguro, „Klara und die Sonne“ (Blessing)
Ü: Barbara Schaden, 352 S.