Die elfte Neuübersetzung des 1869 erschienenen Romans startet den achten Versuch eines deutschen Titels. Wird er bleiben? Foto: Wikimedia Commons.


Selten, aber doch bildet das Nachwort den Höhepunkt einer Lektüre. Hat man sich durch die 576 Seiten des Romans »Lehrjahre der Männlichkeit. Geschichte einer Jugend« durchgekämpft, sind die 67-seitigen Ausführungen der Übersetzerin Elisabeth Edl wie ein Schwumm im kühlen Bergsee nach einer anstrengenden Wanderung. Ja, die Strecke bot immer wieder eine beeindruckende Aussicht, und es war schon gut und wichtig, diesen legendären Wanderweg einmal gegangen zu sein, aber die Erfrischung am Ende hat es schon gebraucht.

Das Wohltuende an dem kenntnisreichen Nachwort ist der Teil, in dem Edl die Kritiken Revue passieren lässt, die Gustave Flaubert für »L’Éducation sentimentale« 1869 einstecken musste. Als heutiger Leser erkennt man manchen Gedanken wieder, der bei der Lektüre aufkam: Dass über Hunderte von Seiten keinerlei Entwicklung stattfindet, machte die einen rasend; die anderen mokierten sich, die Frauenfiguren seien eindimensional und hätten nichts zu sagen. Nur Flauberts Mentorin, die Autorin George Sand, verteidigte das Werk als revolutionäre Form des Erzählens.

Tatsächlich ist die Haupthandlung schnell erzählt: Der junge Provinzler Frédéric Moreau verliebt sich auf den ersten Blick in die verheiratete Pariserin Madame Arnoux. Obwohl sie ihn erst nicht kennt und sich ihm später aus Anstand verweigert, richtet er sein gesamtes Leben an der fixen Idee aus, sie zu verführen. Während die Geschichte Frankreichs ihren turbulenten Lauf nimmt, verspielt Frédéric alle Erbschaften und verscherzt es sich daheim am Land mit einer potenziellen Braut.

Gelernt hat er dabei eigentlich nichts. Dennoch ist »éducation sentimentale« heute ein gängiger französischer Ausdruck und der Bildungsroman ein Klassiker, nämlich, damit bitte schön keine Missverständnisse aufkommen: natürlich zu Recht. Die plastischen Beschreibungen von Stadt und Land sind von einer Schönheit, die Elisabeth Edls Neuübersetzung auch auf Deutsch erblühen lässt. Wiewohl ohne ein unverständliches oder veraltetes Wort, fühlt man sich in die Mitte des 19. Jahrhunderts versetzt. Für den schwer zu übertragenden Titel – sieben deutsche Versuche gab es bisher – griff Edl zu einem Trick: Der Aspekt des Männlichen ist aus dem Untertitel »histoire d’un jeune homme« in den Haupttitel gewandert. Das passt gut. Möge es so bleiben.

Gustave Flaubert
Lehrjahre der Männlichkeit
Ü: Elisabeth Edl,
Hanser, 800 S.

Biografisches

Die Neuübersetzung der »Éducation sentimentale« erscheint rechtzeitig zum Flaubert-Jahr. Wie sein Protagonist Frédéric wurde Gustave Flaubert 1821 in Rouen geboren. Mit 15 begann er, Erzählungen zu verfassen. Großen Erfolg, aber auch ein Gerichtsverfahren brachte ihm seine erste Romanveröffentlichung »Madame Bovary« (1956) ein. Es folgten »Salammbô« (1862) und die »Lehrjahre« (1869). Trotz harscher Kritik daran wollte er es noch einmal versuchen, doch die Satire »Bouvard und Pécuchet« blieb unvollendet, da sich Flaubert zu sehr in die Recherche hineinsteigerte. 1880 erlag er einem Hirnschlag.

Werke

»Ein Bildungsroman« heißt auf Englisch »a Bildungsroman«. Schon daran ist zu erkennen, wie äußerst deutsch dieser Begriff ist. Der Philologe Morgenstern prägte ihn 1819, hauptsächlich, um »Wilhelm Meisters Lehrjahre« von Johann Wolfgang Goethe zu klassifizieren. Auch Flauberts »Lehrjahre der Männlichkeit« werden zu diesem Genre gezählt. Der Galgenhumor des Verfassers wird dabei jedoch übersehen. Er stellte das Prinzip, die Protagonisten müssten am Ende klüger sein als zu Beginn, bewusst auf den Kopf. Anders als Pinocchio oder der grüne Heinrich lässt Frédéric Moreau seine Lehrjahre fruchtlos verstreichen. In Liebesdingen zumindest verhält er sich wie einer, den man kräftig schütteln und zu Sinnen bringen will. Immerhin besteht er im Jurastudium mit Ach und Krach seine Prüfungen.

Bisherige Übersetzungen

Zehn deutsche Fassungen des Werks lagen Elisabeth Edl vor. Im Nachwort zählt sie deren sieben verschiedene Titel auf: »Die Schule der Empfindsamkeit«, »Der Roman eines jungen Mannes«, »Die Erziehung des Herzens«, »Die Erziehung des Gefühls«, »Lehrjahre des Gefühls«, »Lehrjahre des Herzens«, »Die Erziehung der Gefühle«. Dass sich in den deutschsprachigen Köpfen bisher keine Übersetzung durchgesetzt hat, erklärt Edl so: Schon der Originaltitel »L’éducation sentimentale«, der einzige unter Flauberts großen Romanen, der nicht einfach so heißt wie die Hauptfigur(en), diente dem Autor eher als Notlösung.

Zitat

»Madame Arnoux saß reglos, die Hände auf den Armlehnen ihres Fauteuils; die Flügel ihres Häubchens hingen herab wie die Stirnbinden einer Sphinx; ihr reines Profil schimmerte blass inmitten der Finsternis. Am liebsten hätte er sich ihr zu Fü.en geworfen. Ein Knarren war auf dem Flur zu vernehmen, ihm fehlte der Mut.« (S. 274)

Dieser Artikel erschien zuerst in Buchkultur 192, Oktober 2020.


Gustave Flaubert
Drei Geschichten
Ü: Elisabeth Edl
Hanser, 320 S.

Gustave Flaubert
Madame Bovary
Ü: Elisabeth Edl
Hanser, 760 S.