Prekäre Personalpoker, Bequemlichkeit, gar Ignoranz und Korruption schaden politischer Glaubwürdigkeit. Foto: © Daniela Matejschek.


Nicht umsonst kokettiert bereits der Buchtitel mit dem Ende eines politisch berechenbaren Österreichs, einer jahrzehntelangen gelebten Praxis des Ausgleichs und der Konsensfindung: Jahrelange Dominanz der österreichischen Volksparteien ÖVP und SPÖ in großer Koalition erodierte wegen mangelnder Bereitschaft, bestimmte Probleme kompetent und im Dialog mit dem Wählervolk zu moderieren und zu lösen. Insbesondere die politischen Haltungen zum Thema Migration wurden zum Dauerkonflikt, wie der Journalist Georg Renner in seinem Buch über »Die letzten Jahre der Zweiten Republik« detailliert darstellt: Die Ambivalenz zwischen europäischen Werten, Migrationsdynamik und als Reaktion darauf die diskutierten Maßnahmen und Beschlüsse führten zu einem Vertrauensverlust und letztendlich Scheitern des ÖVP/SPÖ-Machtblocks. Zudem eine gedankenlose Personalpolitik während der Corona-Pandemie und eine Abwertung staatlicher Institutionen begünstigten den Aufstieg des nun wiederum wegen Korruption geschassten Bundeskanzlers Sebastian Kurz. Wie eine didaktisch strukturierte Lektion – zu jedem Kapitel gibt es Leitfragen und Schlussfolgerungen – könnte diese aktuelle Untersuchung über die Gestaltung und Wirkungen politischer Diskurse und in deren Folge Machtverschiebungen in Österreich sein, zugleich, trotz landesspezifischen Vokabulars, eine Modellanalyse für vergangene und zukünftige Zustände westeuropäischer Demokratien. Denn die durch Pfründe und Lobbyismus gefährdeten staatlichen Institutionen sind offenbar kein stabiles und zuverlässiges Korrektiv mehr bei taumelnden Regierungen. Die Alpenrepublik befindet sich laut Georg Renner, wie bereits in anderen Ländern, auf dem Weg zu mehrpoliger und klein-fragmentierter Parteipräsenz.

Georg Renner
Die letzten Jahre der Zweiten Republik. Migration, Pandemie und Inflation: Der Vertrauensverlust in die Politik
ecoWing, 184 S.