Fake-News spalten die Gesellschaft und gefährden die Demokratie. Was und wer steht hinter diesen Desinformationen? Was kann man dagegen tun? Bastian Schlange, Journalist der ersten Stunde bei Correctiv, hat dazu ein Buch geschrieben und Einblicke in die Welt der Faktenchecker gewährt. Auf der Leipziger Buchmesse traf ihn Michael Schnepf zum Gespräch. Titelbild: Correctiv.


Buchkultur: Wie konnte es soweit kommen, dass heute das Thema Fake-News einen derart breiten Raum einnimmt?

Bastian Schlange: Die Wege der Informationsvermittlung haben sich in den letzten 20 Jahren komplett geändert. Früher gab es einen Sender und viele Empfänger. Da hat es Marken gegeben, wie etwa die Tagesschau, den Spiegel oder auch die Bild-Zeitung, da wußte man, wem man wie vertrauen konnte. Heute kann übers Internet jeder publizieren, und wir haben keine Journalisten mit ihrer Gatekeeperfunktion zwischengeschaltet, das heißt, viele Informationen werden nicht mehr kuratiert oder gegengecheckt. Gleichzeitig herrscht mit den sozialen Medien eine Infrastruktur vor, in denen Algorithmen entscheiden, was Reichweite bekommt und was rausfällt. Das ist wie geschaffen dafür, Hetze, Propaganda und Desinformation zu verbreiten und Menschen immer tiefer in Filterblasen und Teilöffentlichkeiten zu führen. Am Ende  stellt sich die Frage: Habe ich mir als mündiger Bürger diese Informationen selbst gesucht oder ist das Weltbild, das eigentlich der Algorithmus für mich errechnet hat, schleichend zu meinem eigenen geworden?

Ist der Journalismus also tot?

Man muss sich nicht wundern, wenn ein so großes Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber etablierten Medien herrscht. Es ist Aufgabe der Journalisten, wieder auf die Leser zuzugehen und das Vertrauen neu aufzubauen. Im Jahr 2000 hat die große Medienkrise begonnen. Da wurde in vielen Verlagen nicht vorausschauend gedacht, sondern viel zu konservativ. Es wurde an allen Ecken eingespart und versucht, Altes noch irgendwie zu bewahren. Dabei ist es an vielen Stellen zum Bruch mit der Leserschaft gekommen. Auch Lokalredaktionen wurden einfach weggespart und geschlossen. Für die Menschen fehlen damit Ansprechpartner vor Ort, Gesichter, jemand, der ihnen Gehör schenkt. Wir müssen dort ansetzen, wo wir den Journalismus wieder zu den Menschen bringen können.

Was sollten Medien also tun? Zuschauen, wie die sozialen Medien alles noch mehr überrollen, kann doch keine Perspektive sein.

Ich bekomme viele Menschen nicht mehr, wenn ich in der Tagesschau oder Süddeutschen guten, fundierten  Journalismus anbiete, weil sie klassische Medien nicht mehr konsumieren. Anders gesagt: Was bringt es, wenn im Münchner Olympiastadion größter Fußball gespielt wird, die Zuschauer aber auf dem Bolzplatz in Herne West sitzen, wo sich auf dem Rasen die Köpfe eingeschlagen werden? Wir müssen schauen, dass wir wieder die Sprache der Leute finden, die Verbreitungswege. Und wir müssen an die Strukturen ran und die sozialen Netzwerke in die Verantwortung nehmen. Es ist zu wenig, alleine Desinformationen aufzudecken, da es die Ursachen nicht bekämpft. Youtube, Tiktok sind mit die größten Verbreiter von Desinformation. Und die sperren sich, sind nicht bereit sich zu öffnen. Dabei es ist notwendig, den Weg gemeinsam mit den sozialen Netzwerken zu gehen, Kooperationen einzugehen. Facebook läßt uns zum Beispiel rein. Seit 2017 haben wir eine Kooperation mit ihnen, dort sind wir mit unseren Faktenchecks aktiv und schaffen es die Filterblasen aufzubrechen, also letztendlich über den Zaun zu klettern und mit auf dem Bolzplatz zu stehen.


Medien müssten also noch mehr, oder besser gesagt: anders, auf die sozialen Medien eingehen?

Die sozialen Medien bieten viele neue Chancen, wie man ja nicht nur am Arabischen Frühling, an Black Lives Matter oder auch Fridays for Future beobachten konnte. Sie geben die Möglichkeit, einen gesellschaftlichen Wandel anzustoßen. Mit dieser Freiheit geht aber auch für jeden einzelnen eine Verantwortung einher, sich in diesem Informationsprozess in einer neuen Rolle zu sehen. Die Journalisten müssen verstehen, dass sie nicht mehr diejenigen sind, die sagen: das ist gut und das nicht. Sie müssen die Rolle der Vermittler und Erklärer übernehmen und damit versuchen, wieder Teil des Prozesses zu werden. Ich habe da noch Hoffnung: Es gibt Medien, die mit der Zeit gehen und den Kontakt zu den Lesern bewusst suchen. Und es gibt viele Journalisten, die sich nicht zu fein sind, auf die Straße zu gehen und mit den Menschen zu interagieren. Nur so kann es funktionieren.

In Ihrem Buch fordern Sie uns alle auf, mehr zu hinterfragen, selbst zum Faktenchecker zu werden. Sie nennen das die »redaktionelle Gesellschaft«.

Politisches Umdenken ist zwar wichtig und die einzelnen Akteure müssen in die Verantwortung gezogen werden. Das ganze Problem der Desinformation werden wir aber nicht ohne die Bürgerinnen und Bürger in den Griff bekommen. Auch sie können wir nicht ganz ihrer Verantwortung entheben. Mit meinem Buch möchte ich auch neues Publikum erreichen und ihnen vermitteln: Es muss sich gesellschaftlich etwas ändern. Jede und jeder einzelne sollte in der Lage sein, Informationen gegenzuchecken. Am Ende des Buches habe ich dazu auf die Reporterfabrik verwiesen, eine Plattform, auf der sich jeder Bürger online journalistisches Grundhandwerk und Knowhow in Faktenchecken aneignen kann. Das ist der einzige Weg, sich auf lange Sicht gegen Desinformation zu positionieren. Eine der wichtigsten Ebenen für die Zukunft ist einfach der Aufbau von Medienkompetenz. Das muss in den Schulen beginnen – auch hierfür haben wir Angebote entwickelt. Vor allem aber ist die Politik aufgefordert, das Thema stärker zu verankern, in die Lehrpläne einzubauen und die jungen Menschen auf die Welt vorzubereiten, in der sie leben.

Es ist eine neue Welt …

Ja, die Welt ist wahnsinnig komplex geworden. Da muss und kann man nicht alles verstehen. Die sozialen Netzwerke suggerieren jedoch, dass man sich zu allem äußern muss, zu jedem eine Meinung haben muss. Wie bei einem virtuellen Stammtisch. Und dann fängt die Spirale an: Man verschafft sich ein Halbwissen, ist sich aber nicht immer bewusst, dass es sich nur um Halbwissen handelt. Das ist der gefährliche Boden für Verschwörungstheorien. Ich begegne der Selbsteinschätzung am laufenden Band, dass sich viele mit ihrem Halbwissen als Experten fühlen.

Wie gehen Sie damit um?

Ich halte das Miteinanderreden für wichtig, um diesen Spaltungen entgegenzuwirken. Was das bringt, habe ich erst unlängst bei einer Veranstaltung erlebt, die von Beginn an von Querdenkern gekapert wurde. Zumindest hatten sie es versucht. Fast zwei Stunden haben mein Kollege und ich mit ihnen diskutiert. Und das tatsächlich gut. Im gegenseitigen Austausch. Im Anschluss daran habe ich mit einigen von ihnen vor dem Lokal noch eine Zigarette geraucht. Ein Typ klopfte mir dabei auf die Schulter und meinte: »Was ihr macht, ist kacke, aber ihr zwei seid ok.« Das war für mich das größte, was wir aus dieser Veranstaltung rausziehen konnten.


Wenn Sie Falschmeldungen online oder in Zeitungen entdecken – hier können Sie das an Correctiv melden:

Eine weitere Möglichkeit ist via Whatsapp. Einfach dem Faktencheck-Chatbot über diese Nummer die Falschnachrichten schicken: +49-(0)151-17535184.

Bastian Schlange
Das einzig wahre Faktencheckbuch. Recherchen, Einblicke und Erfahrungen von Deutschlands erster Faktencheckredaktion
Correctiv, 323 S.