Österreich freut sich seit Jahr und Tag über seine publizistische Vielfalt. Aber schaut es damit wirklich so toll aus?


Das Erfolgsmodell der österreichischen Verlagsförderung unterstützt bekanntlich nicht nur eine eingeschränkte Anzahl heimischer Verlage und Autor/innen, sondern sichert auch so einige Arbeitsplätze im Kultursektor und insgesamt eine gewisse Bibliodiversität (Danke, lieber Verbrecher Verlag, für euer Buch und diesen Begriff!), soll heißen: publizistische und kulturelle Vielfalt.

Wenn man auf das bisherige Jahr zurückblickt, ergeben sich allerdings ein paar andere Trends, nämlich erstens: Österreichische Verlage veröffentlichen deutsche Autor/in­nen (und deutsche Verlage wie gehabt österreichische Autor/innen). Was man oberflächlich als gelebten Kulturaustausch betrachten könnte, ist auf den zweiten Blick nicht mehr ganz so großartig. Denn wo deutsche Verlage oftmals bereits etablierte Schrifsteller/innen verlegen, sind es in Österreich eher unbekannte deutsche Autor/in­nen, die ihre Chancen im deutschen Buchmarkt (noch) nicht gefunden haben. Darüber hinaus gibt es zwar einige heimische Verlage, die auch österreichischen Debütant/innen Chancen einräumen, aber zu Zweit- oder Dritttiteln kommt es dann schon sehr viel seltener. Sind also die Halbwertzeiten, in denen Verlage Autor/innen mühsam aufbauen mussten, um sie dann nach Deutschland abzugeben, andere geworden? Die medialen Aufmerksamkeitsmechanismen sind es definitiv, aber wer würde denn ernsthaft behaupten, dass die heutige Autor/innengeneration so viel schneller zu lernen vermag als alle anderen zuvor? Nein, sie bekommt einfach nur viel weniger Zeit eingeräumt, und das ist nicht erst seit diesem Jahr so. Aber, könnte man weiterfragen, schadet das unserer Literaturlandschaft denn überhaupt, wo doch die Posteingänge der Verlage nach wie vor von Manuskripten überquellen? Ja, leider, das tut es. Aus verlegerischer Sicht ist es natürlich legitim, dem freien (Kultur-)Markt hinterherzueilen. Ob es auf lange Sicht sinnvoll ist, sich zum verlagsförderungsgestützten Ausbildungsbasar für eine gesamtdeutschsprachige Buchbranche herabzudegradieren, wird sich erst noch herausstellen.

Andererseits muss man dann auch einen Blick darauf werfen, was thematisch und motivisch von österreichischen Autor/innen veröffentlicht wird. Ein Schwerpunkt war heuer (wieder einmal) die Auseinandersetzung mit der österreichischen Provinz. Die gängigste Form dafür ist der Antiheimat­ro­man, in dem Autor/innen mit – zugegeben: häufig ähnlichen Mitteln – rurale Sozialisierungen möglichst drastisch verarbeiten und damit immer wieder zielgenau ihre Leser/innenschaft finden.
Dabei wird einmal mehr deutlich, dass die Schere zwischen Stadt und Land, die man durch die Digitalisierung kleiner geworden wähnte, immer noch weit auseinanderklafft, vor allem wenn es – wie bei Angela Lehners Roman »2001« – um die Gegensätze Sensibilität und Grobheit, gesellschaftliche Konventionen und Ausbrüche geht. Die Lebensszenarien und -entwürfe der ländlichen Bevölkerung sind infolge des sozialen Drucks immer noch deutlich eingeschränkter als im urbanen Raum.

So erfreut sich auch Hans Lebert, die große österreichische Literatur­ikone des Antiheimatromans und Vorbild für Jelinek und Bernhard, frischer Beliebtheit. Leider gibt es von Lebert selbst ja aufgrund der Verweigerungshaltung seiner Witwe / Familie keine Neuauflagen. Die Autorin Raphaela Edelbauer hat mit ihrem Roman »Das flüssige Land« 2019 Leberts bekanntestem Werk »Die Wolfshaut« ihre Reverenz erwiesen. In diesem Jahr ist es Eva Menasse, die sich der Zeit des Nationalsozialismus im ländlichen Österreich widmet.

Ein wenig schade ist es dennoch, dass dementsprechend weniger urbane oder gesellschaftspolitische Szenarien erzählt werden. Motive zur Auseinandersetzung gäbe es genug. Dafür bekommt man in der österreichischen Literatur nun wieder verstärkt Morbides und Skurriles geboten. Meister dessen sind Franz Schuh sowie der vielfach prämierte Dramatiker und Bachmannpreisträger Ferdinand Schmalz, der seinen lang erwarteten Debütroman veröffentlicht hat, natürlich in Deutschland.

Aus: Buchkultur Österreich Spezial, Oktober 2021