Raphaela Edelbauer legt in ihrem Romandebüt Schicht für Schicht ein Stück verdrängter NS-Geschichte frei und setzt Raum und Zeit dabei traumwandlerisch außer Kraft.
Physikerin Ruth Schwarz steht unter Schock, ihre Eltern sind tot. Augenblicklich gerät ihr notdürftig von Tabletten zusammengeleimtes Leben restlos aus den Fugen. Als hochgescheite Zeitforscherin (Einschübe im Text) war sie diesem bereits entrückt. Wenig weiß Ruth über die Biografie ihrer Eltern, es schien die „Vergangenheit einfach ohne jede Relevanz zu sein“. In der abstrusen Logik des Romans kommen diese daher aus einem Ort, den es gibt und nicht gibt. Übersteuert macht sich die Erzählerin auf die Suche nach diesem Groß-Einland, um dort das Begräbnis zu organisieren. Der Odyssee über Stock und Stein dient sich Edelbauers aufgebauschte und reiche Sprache perfekt an, wenn sie nicht kippt ins gestelzt Überambitionierte. Immerhin ist eine Erzählerin mit medikamentengestörter Wahrnehmung am Werk, deren Erinnerungen „porös“ sind. Und dann, wie von Zauberhand, ist da der Ort hinter einem Wald. Längst ist ein Raum-Zeit-Gefüge ausgehebelt. Ruth verbindet sich heimelig mit einer Landschaft, die Edelbauer der mythologischen Traumzeit zuordnet. Das reale Problem vom „unfassbar schönen“ Groß-Einland ist offenkundig: Es senkt sich bedrohlich ab. Schuld ist ein ehemaliger Bergwerksschlund, der ein grausames Geheimnis um den Verbleib von Hunderten NS-Zwangsarbeitern birgt. Ruth, „heillos eingefilzt“ in die Gemeinde, soll ein Füllmittel finden, beginnt aber lieber übers Familiäre hinaus zu recherchieren. Denn offenkundig ist auch die „Verdrängungsleistung der Bevölkerung“. Unverhohlen bricht Edelbauer gesamtösterreichische Verhältnisse auf die Kleinstebene herunter und inszeniert dafür ein Spektakel.
Raphaela Edelbauer, „Das flüssige Land“ (Klett-Cotta)
353 S.
Aus: Buchkultur Thema Österreich Herbst 2019