Seit fünfzig Jahren schreibt Peter Henisch Bücher, nun bringt er einen »Jahrhundertroman« heraus.


Der Titel »Der schwarze Peter« ist irreführend – oder doch nicht? In politischer Hinsicht schwarz war der 1943 in Wien geborene Schriftsteller, Liedtexter und Journalist nämlich nie, machte er doch nach der Matura ein Volontariat bei der »Arbeiter-Zeitung«, bis 1991 das Sprachrohr der österreichischen Sozialdemokratie. Andererseits war »Der schwarze Peter« (Residenz Verlag, 2000) Titel einer seiner rund 25 Romane, dessen Held – wie Peter Henisch selbst – auch Musik machte.
Doch zurück zu den Anfängen: 1969 gründete Henisch zusammen mit Helmut Zenker (»Kottan ermittelt«) die Literaturzeitschrift »Wespennest«, die »Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder«, die ein Dialogforum der europäischen Literatur darstellen sollte. Ab 1972 war Henisch Literaturredakteur der Zeitschrift des Theaters der Jugend »Neue Wege«, ein Medium, das junge Menschen mit der Kultur ihrer Zeit konfrontieren sollte. Und Henisch betätigte sich auch musikalisch, 1975 begründete er die Gruppe »Wiener Fleisch und Blut« mit, in der er als Liedtexter und Sänger auftrat. Allen, die sie miterlebt haben, sind seine Auftritte mit Woody Schabata und Hans Zinkl unvergesslich.

Ebenso wie seine Bücher: »Längst ein Klassiker …« meinte Karl-Markus Gauß anlässlich der aktualisierten Neuauflage des Romans »Die kleine Figur meines Vaters« aus dem Jahr 1975. Es ist dies das Protokoll einer Vater-Sohn-Beziehung. Der Schriftsteller Peter Henisch schreibt über die Annäherung an und die Abwendung von seinem Vater, der als Kriegsfotograf im Dritten Reich arbeitete. Und noch eines: »Baronkarl« aus dem Jahr 1972, das 20 Jahre später, angereichert mit neuen »Peripheriegeschichten« wieder aufgelegt worden ist. Da hat der Autor die Geschichten und Anekdoten zusammengetragen, die sich um ein Original aus Favoriten, den Obdachlosen namens »Baronkarl« rankten. Das aktuelle Buch nun heißt »Der Jahrhundertroman«, der Titel klingt im ersten Augenblick hochtrabend, erfüllt aber dann doch alle Erwartungen.

Ein alter Mann namens Roch und das junge Mädchen Lisa treffen da in einem Hernalser Kaffeehaus zusammen. Er war Bibliothekar und Buchhändler, sie studiert Germanistik. Sie soll ihm, der nicht mehr gut sieht und auch sonst schon recht schwach ist, helfen, seinen »Jahrhundertroman« zu vollenden. Er will »gegen die Erinnerungslosigkeit, die Geschichts- und Gesichtslosigkeit« anschreiben, er will an all die österreichischen Autorinnen und Autoren der letzten hundert Jahre erinnern, damit sie nicht in Vergessenheit geraten, und so trägt er Szenen aus deren Leben zusammen: Er erzählt aus dem Leben von Artmann und Doderer, Bachmann und Roth und noch vielen, vielen anderen das, »was man für möglich und das, was man für unmöglich hält«. So erlebt man unter anderen den vergrippten Robert Musil, Thomas Bernhard im Volksgarten, Peter Handke im Kino, Heimito von Doderer in Seide und Lavendelduft gehüllt und Friederike Mayröcker als Englischlehrerin in Favoriten. Lisa ist aber nicht immer bei der Sache, da ein Migrantenmädchen, das zu ihrer besten Freundin geworden ist, auf einmal untertauchen muss. Der »Jahrhundertroman« des Peter Henisch handelt zuerst einmal von schöner, erhebender Literatur und denen, die sie niedergeschrieben haben, oft unter menschlich-allzumenschlichen Bedingungen. Wer auf eine selbstironische Szene mit Peter Henisch wartet, wird leider enttäuscht. Dafür konfrontiert er einen aber mit den Problemen unserer Tage. Und das gelingt ihm perfekt.

Aus: Buchkultur Österreich Spezial, Oktober 2021


Peter Henisch, geboren 1943 in Wien, Studium der Philosophie und Psychologie. 1969 begründete er mit Helmut Zenker die Zeitschrift »Wespennest«. Seit den 1970er-Jahren freier Schriftsteller. 1975 erschien Henischs erster Roman »Die kleine Figur meines Vaters«, seitdem zahlreiche Romane, u. a. »Die schwangere Madonna« (2005), »Mortimer und Miss Molly« (2013), »Suchbild mit Katze« (2016). Zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Österr. Kunstpreis. »Der Jahrhundertroman« (2021) ist Peter Henischs jüngster Roman, erschienen bei Residenz.

Die kleine Figur meines Vaters
Residenz, 272 S.

Baronkarl. Alte und neue Peripherie­geschichten
Bibliothek der Provinz, 180 S.

Der Jahrhundert­roman
Residenz, 304 S.