In ihrem neuen Roman schickt Adeline Dieudonné eine Neo-Witwe auf Tour de Force mit einer Leiche. Foto: Céline Nieszawer/Leextra


Briefromane, so scheint es, haben wieder Konjunktur. Nach Jane Gardams hintergründigem »Gute Ratschläge« legt nun auch die belgische Bestsellerautorin Adeline Dieudonné einen solchen vor. In zwei langen Briefen lässt sie darin eine namenlose Frau Anfang vierzig zu Wort kommen, die soeben im geheimen Liebesurlaub ihren langjährigen Geliebten M. an einen Herzinfarkt verloren hat. Nun steht sie unter Schock und neben dessen Leiche. Nicht bereit nach dem plötzlichen Verlust in die Realität zurückzukehren und die allfälligen Formalitäten zu erledigen, legt sie den Toten zu sich ins Auto und macht sich auf ins Ungewisse. Ihre Erlebnisse dokumentiert sie Briefen und schickt sie – an dessen Ehefrau.

Der Roadtrip wird dann auch alsbald zur irrwitzigen Tour de Force, wie nur Dieudonné sie erzählen kann, inklusive geklautem Auto, Vipernbiss und einer rätselhaften Heilerin. Dabei hätte es all diesen fast slapstickhaft anmutenden Klamauk gar nicht gebraucht, um der Story den nötigen Drive zu verleihen. Denn was Dieudonné hier eigentlich verhandelt, hat Kraft genug. Erzählt sie doch von einer Ursehnsucht vieler Trauernder: noch ein wenig Zeit mit der verstorbenen Person verbringen zu können, allein. Um sich so lange zu verabschieden, wie es eben nötig ist.

Und so ist dieser Roman immer da am stärksten, wo die Autorin ihrer Protagonistin Zeit gibt, zurückzublicken. Auf ihre außergewöhnliche Liebesgeschichte mit M., auf vorangegangenen Beziehungen, ihre Mutterschaft, ihr Leben als Frau in misogynen Verhältnissen. Für diese Facetten des Buches sieht man gerne über den allzu gewollten Plot hinweg. Denn Dieudonné ist ein außergewöhnlicher Trauerroman gelungen, der von einer Utopie erzählt, die nur wenigen außerhalb von Büchern gestattet ist: sich auf die eigene Art von den Toten verabschieden zu können, in der Zeit, die man dafür braucht.

Adeline Dieudonné
Bleib
Ü: Sina de Malafosse
dtv, 256 S.