Zwei Schwestern machen Front gegen die symbiotische Zweisamkeit ihrer Eltern: Amélie Nothombs »Das Buch der Schwestern«. Foto: Cathérine Cabrol
Die in Paris ansässige Belgierin Amélie Nothomb ist immer für einen Pageturner gut. Auch der aktuelle Roman ist da keine Ausnahme. Noras und Florents symbiotische Liebe zueinander ist so raumfüllend, dass darüber hinaus kein Platz mehr für jemand anderen ist, und sei es das eigene Kind: Ihre Eltern genügen sich selbst. Von klein auf ist Tristane kaum mehr als das dritte Rad am Wagen. Das Lesen und Schreiben bringt sie sich selbst bei: Die Wörter, die sie sich lange vor der Einschulung einverleibt, schenken ihr Geborgenheit, Wärme und Freude – all das, was sie in der Beziehung zu ihrer Mutter und ihrem Vater vermisst. Als ihre Schwester geboren wird, beginnt auch Tristanes eigentliches Leben: Sie kümmert sich an Eltern statt um die Kleine – Laetitia soll es einmal besser haben als sie.
Eine Liebe, die so rein und hingebungsvoll ist, wie sie nur Kindern eigen sein kann: Unter Tristanes Fürsorge entwickelt sich Laetitia zu einer rebellischen Frohnatur und gründet als Teenager eine Rockband, in der auch ihre Cousine Cosette spielt – die Tochter von Noras alkoholkranker Schwester. Doch als Tristane, das Genie, aussteigt und zum Studium nach Paris geht, bekommt das innige Band ihrer Schwesternschaft Risse.
Ein flüssig erzähltes, teils zart autobiografisch gefärbtes (was Nothombs starke Bindung zu ihrer eigenen Schwester betrifft), wütendes und berührendes Sozialdramolett um Liebe (oder was man dafür hält), wahre Hingabe, Elternschaft und ein Band, das stärker ist als der Tod. Eine Verneigung vor der Macht der Worte, die Leben retten. Und es wäre nicht Amélie Nothomb, gäbe es nicht ein kleines kriminalistisches Überraschungsmoment, das die Geschichte im Wortsinn ins Kippen bringt.
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Amélie Nothomb
Das Buch der Schwestern
Ü: Brigitte Große
Diogenes, 160 S.