Ein sprachlich ehrgeiziger Prosapoem-Roman der Kanadierin Audrée Wilhelmy. Foto: atelier-wilhelmy
Ein denkwürdiges Buch ist »Weißes Harz«. Ist es mystisch – oder ist es gar schamanistisch? Zumindest bedient es die aktuell sehr gefragte wie immer beliebter werdende Sparte »feministische Super-Utopie«.
Die produktive Kanadierin Audrée Wilhelmy, 38 und Autorin von bereits sechs (!) Romanen, erhielt in ihrer Heimat Québec nicht wenige Preise. In »Weißes Harz« erzählt sie in einer bildstark aufgeladenen Sprache die Geschichte von Daã, die in der Wildnis in einen Konvent von 24 Frauen hineingeboren wird. Sie wächst abgelegen von allem, quasi als Wildfang, in der rauen Tundra auf. Dann begegnet sie Laure, arm, in einer abgewrackten Hütte einer Minengesellschaft groß geworden und als Albino unübersehbarer Außenseiter. Sie verlieben sich. Sie bleiben zusammen. Sie gründen eine Familie. Laure zwingt nach einer Übersiedlung in ein Dorf, wo er eine Praxis eröffnet, Daã keineswegs, sich den dortigen traditionellen Konventionen zu beugen. Trotz der Anerkennung, die ihr von anderen Frauen zuwächst, fasst Daã am Ende eine überraschend harte, ja kühle und folgenreiche Entscheidung.
Viele Kapitel dieses Romans sind kurz, füllen kaum eine Seite. Sätze wie »Der Tag geht weiß in den Fenstern auf und der Wind lässt nach. Meine Ohren entdecken die Harmonien von Chören« sind so selten nicht. Das ist von Tabea Rotter einfühlsam übersetzte lyrische Prosa, ja das Ganze wird fast zum zusammenhängenden Prosagedicht, in dem Natur und Leben gleichermaßen vom Menschen nicht zu bändigende große Mysterien sind.
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Audrée Wilhelmy
Weißes Harz
Ü: Tabea A. Rotter
S. Marix, 296 S.