Propagandistisch eingeimpfter Hass war nach dem Ersten Weltkrieg ein Garant für national-türkische Hegemonie.
Fatalistische Trägheit und tabuisiertes Wissen bestimmten das Leben in einem kurdischen Kaff anatolischer Provinz. Durch diese Rhythmen und Regeln erlebt Yavuz Ekinci als Ich-Erzähler seine zeitferne Kindheit, die stilistisch in opulenter Ornamentik und retardierenden symmetrischen Vergleichen dargestellt wird: Etwas ist fast immer wie etwas anderes. Verweis-Metaphern entlasten und verdunkeln zugleich, sodass die Frage berechtigt ist: Warum merken diese Menschen nicht, wie unglücklich sie sind? Ihre verkrustete Dorfmentalität und bigotte Islamgläubigkeit verdrängt repressive Polizeigewalt gegen ihre ethnische Identität als Kurden. Unfähig sich aufzulehnen, vielmehr den Tod ihrer gefallenen Rebellen nachtrauernd, verdrängen sie eigenes Unvermögen, das Massaker an christlichen Armeniern aus einem Nachbardorf aufgrund von religiösen Ressentiments hingenommen zu haben, obwohl Kurden ebenso wie Armenier Opfer einer aggressiven Politik ethnischer Homogenität waren. Den Spuren dieses Dilemmas folgt der Autor retrospektiv entlang seiner Familiengeschichte nacheinander auf mehreren Ebenen: Eigene Wahrnehmungen werden mit erlebter Rede seiner Großmutter, die eine zwangskonvertierte Armenierin war, konfrontiert. Der vergebliche Versuch, ihre Leiche neben ihrem ersten Ehemann zu begraben, endet im Selbstmord des Vaters. So manifestiert ein skeptischer auktorialer Epilog über die Hilflosigkeit einfacher Menschen im Konflikt mit tödlicher Ideologie die seelischen Erschütterungen dieser Tragödie.
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Yavuz Ekinci
Das ferne Dorf meiner Kindheit
Ü: Gerhard Meier
Kunstmann, 325 S.