»Rauch und Schall«: Charles Lewinsky hat einen amüsanten Roman um Goethe, das Theater und Schreibkrise verfasst.
Was, fragte sich Nietzsche 1886 in »Jenseits von Gut und Böse«, was dachte »Goethe eigentlich über die Deutschen«? Nietzsche, seinem kranken Körper lebenslang eine opulente Vielzahl an Wörtern und an Gedanken abpressend, weiter: »Aber er hat über viele Dinge um sich herum nie deutlich geredet und verstand sich zeitlebens auf das feine Schweigen: – wahrscheinlich hatte er gute Gründe dazu.«
Goethe-Romane waren ja vor langer Zeit fast so etwas wie ein eigenes kleines Genre, von Thomas Manns »Lotte in Weimar« zeitlich und in der Regel auch qualitativ absteigend.
Nun stellt der Zürcher Erfolgsschriftsteller Charles Lewinsky ins Zentrum seines jüngsten Romans – Goethe. Kurioserweise liegt es keine zwei Jahre zurück, dass Beate Rygiert über Frau von Goethe alias Christiane Vulpius einen historischen, literarisch leichtgewichtigen Pageturner schrieb.
Beim Genre des historischen Romans stellen sich stets Fragen wie: Roman oder Biografie? Eng der Historie folgend oder liberal? Vor allem: Wie nah sind uns die Figuren von einst? Spiegelt Geschichte die Gegenwart? Lewinsky nimmt gesicherte Historie – und spielt leichthändig mit ihr. Und das auf jeder Seite frei von pathetischer Verehrung des zum Standbild geronnenen Weimaraners aus Frankfurt. Ja, der Roman setzt denk- wie fühlbar respektbefreit ein: »Goethe hatte Hämorrhoiden.« Bei und via Lewinsky kommen wir dann Goethe so nah wie selten zuvor, und seiner Frau ebenfalls.
Goethe ist auf der Rückreise aus der Schweiz nach Thüringen. Bei einem Halt begegnet ihm kurz ein junger, aufschneiderischer Schauspieler, der sich über Goethes Werke mokiert, ohne zu wissen, dass ihm deren Urhaber incognito gegenübersitzt. Dann trifft der Dichter wieder ein am Haus am Frauenplan zu Weimar. Muss seine ministeriellen und Hoftheater-Klein-klein-Aufgaben neuerlich aufnehmen. Ärgert sich über seinen Schwager, den Bibliothekar und Erfolgsschriftsteller seinerzeit haarsträubender Scharteken wie »Rinaldo Rinaldini«. Was noch verdrießlicher ist, ja ihn in geradezu existenzielle Zweifel stößt: Goethe ist in einer kreativen Krise, die Musen verweigern ihm jede Unterstützung. Was, wenn dies andauert? Und dann gibt es noch Theater-Kabalen …
Eine vergnügliche Etüde über Leben und Nichtschreiben eines Großmeisters. Lewinsky gelingt es, Goethe lebendig werden zu lassen, ohne ansatzweise gekünstelt oder hybrid zu wirken. Stilsicher schlägt er einen Ton an, der weder platte Imitation noch durchzogen ist von postmoderner, aufdringlich augenzwinkernder Ironie.
—
Charles Lewinsky
Rauch und Schall
Diogenes, 296 S.